© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

„Das hätte bundesweit Signalwirkung“
In Brandenburg hat die AfD unter Spitzenkandidat Andreas Kalbitz den Sprung an die Spitze geschafft. Doch wer wird regieren?
Moritz Schwarz

Herr Kalbitz, Sie gelten inzwischen als „Schrecken der anderen Parteien“ („Märkische Allgemeine“). Sind Sie stolz darauf? 

Andreas Kalbitz: Nein, Schrecken einzuflößen ist ganz sicher nichts, worauf man stolz sein könnte. Und ich glaube auch nicht, daß ich das tue, vielmehr bereiten sich die Parteien den Schrecken selbst. Denn die AfD ist nicht die Ursache für ihre Lage – das ist ihr Versagen gegenüber den Wählern, und die AfD ist schließlich Produkt dieses Versagens.

SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke spricht bereits vom „AfD-Sieg“, die Medien von einem „Umfragehammer“: Mit 21 Prozent sind Sie inzwischen stärkste Partei. 

Kalbitz: Als jüngst Sigmar Gabriel klagte, man habe die Mehrheitsgesellschaft aus dem Fokus verloren, mußte ich schmunzeln. Denn das ist genau das, was die AfD seit jeher konstatiert. Unser Erfolg ist also kaum verwunderlich. Allerdings bin ich bei Umfragen vorsichtig: Sie schwanken, haben erfahrungsgemäß leicht einige Prozent Ungenauigkeit und sind immer nur eine Momentaufnahme.

Sie treten auf die Bremse?

Kalbitz: Nein, ich mache nur keine Zahlenspiele auf vagen Grundlagen und hypothetisiere nicht.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

Kalbitz: Ich rechne mit zwanzig plus X – alles andere ist Spekulation. Und ich setze darauf, wir werden stärkste Partei.

Welche Bedeutung hätte das?

Kalbitz: Eine sehr wichtige: es hätte – und das gilt auch für Sachsen – bundesweite Signalwirkung: Die AfD kann stärkste politische Kraft werden! Für Brandenburg bedeutete es, daß wir den Wählerauftrag zur Regierungsbildung haben. Doch glaube ich nicht, daß die anderen das respektieren. Vielmehr werden sie Politik à la Görlitz machen, wo der Sieg unseres OB-Kandidaten unterlaufen wurde, indem sich alle gegen uns zusammenschlossen. Doch auf einem „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Bündnis läßt sich keine tragfähige Sachpolitik machen. Deshalb werden solche Bündnisse keinen Bestand haben.

Ihr sächsischer Kollege Jörg Urban glaubt, die CDU könnte sich bei einem AfD-Sieg vielleicht für eine Koalition mit seiner Partei entscheiden. Ist das wirklich vorstellbar? 

Kalbitz: Bei der planlosen CDU Brandenburg halte ich grundsätzlich alles für möglich. Doch würde die Bundes-CDU das, wegen der Signalwirkung, wohl als eine bundespolitische Frage sehen. Und unter Merkel kann ich mir dafür noch keine Zustimmung vorstellen. Die Union erodiert innerlich in immer schnellerer Geschwindigkeit, und ich erfahre ganz praktisch, daß sich der Ton jenseits der Kameras schon jetzt ändert.

Brandenburg ist eines der letzten SPD-Stammländer. Stürzt sie hier am Wahltag?  

Kalbitz: Das ist mehr als wahrscheinlich, da SPD und CDU mit 17 beziehungsweise 18 Prozent derzeit fast gleichauf liegen. Und da die Union ihr Gesicht verliert, wenn sie ihr Versprechen bricht, auf keinen Fall mit der SPD zu koalieren, könnten letztere Brandenburg tatsächlich verlieren. Sogar dann, wenn dafür eine Koalition der CDU mit Grünen und der Linken nötig sein sollte – was ich der hiesigen CDU absolut zutraue. Da aber keiner weiß, ob es die FDP, mit derzeit fünf Prozent, sowie die Freien Wähler, per Direktkandidaten, in den Landtag schaffen, ist es schwer möglich, vorauszusagen welche Regierung kommt. 

Sie gelten, nach Björn Höcke, als „der“ Exponent des rechten AfD-Flügels. Doch gibt es, im Gegensatz zu Höcke, Gauland oder Frau Weidel, bei Ihnen keine Verbal-Skandale. Zudem treten Sie oft sehr konziliant auf. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Kalbitz: Damit, daß es gar kein Widerspruch ist. Daß Sie und viele dennoch meinen, es gäbe da einen, liegt an der verzerrenden Berichterstattung der Medien, die Rechtssein meist so darstellen, als sei es per se aggressiv und ausfällig.

Was ist dran am Gerücht, Sie wollten Nachfolger Gaulands als Parteichef werden.

Kalbitz: Ich denke, daß ich wegen meiner politischen Positionierung nicht als so neutral und integrativ wahrgenommen werde, wie es – angesichts des Zustands der Partei, vor allem mit Blick auf die West-Landesverbände – für den Parteichef nötig ist. Ich glaube zwar nicht, daß das in der Sache zutrifft, aber so ist die Wahrnehmung. Deshalb, da bin ich realistisch, wäre ich zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht der richtige Kandidat.

In einem Interview schließen Sie sich der Bewertung der „Identitären Bewegung“ als rechtsextrem an. Wie kommen Sie darauf?

Kalbitz: Ich habe die IB nicht so bewertet, sondern nur gesagt, daß die Bewertung des Verfassungsschutzes so lautet.

Wer das Interview liest, gewinnt unvermeidlich den Eindruck, Sie teilen diese.  

Kalbitz: Das liegt im Auge des Betrachters und hätte sich besser differenzieren lassen. Hinsichtlich des Vorhalts, ich beschäftige Mitarbeiter, die angeblich IB-Aktivisten seien, kann ich nur sagen: Ich drücke keinem jungen Menschen ein Brandzeichen auf, der aus jugendlichem Übermut mal, stets friedlich und gewaltfrei, vor der Tür der CDU-Zentrale saß und sich nun zu den demokratischen Werten der AfD bekennt.

Für Ärger sorgt, daß die AfD im Wahlkampf das Brandt-Zitat „Mehr Demokratie wagen“ und „Vollende die Wende“ plakatiert. Ist das nicht in der Tat unzulässig? 

Kalbitz: Nein, im Gegenteil. Mit „Mehr Demokratie wagen“ halten wir den Etablierten ganz im Sinne des Zitats den Spiegel vor. In welchem sich nämlich zeigt, wie sehr diese dem Anspruch des Willy-Brandt-Mottos nicht gerecht werden. Eben deshalb sind ja die Reaktionen auch so aufgeregt. Und was die Kritik einiger Bürgerrechtler wegen „Vollende die Wende“ angeht: Erstens haben diese die Wende nicht gepachtet – die sie auch nicht alleine gemacht haben, sondern mit dem Volk. Zweitens gibt es ebenso Bürgerrechtler, etwa Vera Lengsfeld oder Angelika Barbe, die uns recht geben. Zudem ist die Angleichung des Rentenniveaus dreißig Jahre lang tatsächlich nicht vollendet worden, ebensowenig wie die des Lohnniveaus. Das ist schlicht Fakt. Und es geht auch um die Einschränkung des Meinungskorridors – was ebenfalls an 1989 anknüpft. Daß wir damit Deutschland pauschal mit der DDR gleichsetzten, wie uns böswillig unterstellt wird, ist Blödsinn. Dann säße die AfD nicht in den Parlamenten, sondern im Gefängnis. Nein, wir treffen damit den einen Nerv und das Empfinden vieler Menschen. Eben das aber wollen viele nicht wahrhaben und macht unseren Erfolg mit aus. 






Andreas Kalbitz, ist Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg sowie Mitglied im Bundesvorstand. Geboren wurde der Medienkaufmann, ehemalige Fallschirmjäger und freiberufliche IT-Berater 1972 in München. Seit 2014 ist er Mitglied des Landtags in Potsdam und seit 2017 Landes- und Fraktionschef als Nachfolger Alexander Gaulands. 

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