© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Poller, Pünktchen und Parklets
Ideologie trifft Realität: Wie es ist, wenn die Grünen das Sagen haben, läßt sich im Berliner „Bergmann-Kiez“ besonders gut beobachten
Peter Möller

Die Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg ist derzeit vermutlich die bunteste Straße Deutschlands. Wer in die wegen ihrer vielen Cafés und Restaurants auch bei Touristen sehr beliebte Straße im traditionell etwas bürgerlicheren Teil Kreuzbergs einbiegt, traut seinen Augen nicht: Grüne Punkte unterschiedlicher Größe auf der Fahrbahn, „Parklets“ genannte orange Sitzgruppen dort, wo früher Autos parkten und unzählige, rot-weiß geringelte massive Poller an den Einmündungen der Seitenstraßen, haben die Einkaufs- und Vergnügungsmeile in eine unübersichtliche Teststrecke für die von den Grünen propagierte „Verkehrswende“ verwandelt – und einen monatelangen Streit ausgelöst.

Der vom grünen Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt vorangetriebene Umbau der Straße liegt voll und ganz auf der Linie seiner Parteifreundin und Verkehrssenatorin Regine Günther, die dem Individualverkehr in Berlin den Kampf angesagt hat und das Auto am liebsten ganz aus der Stadt verbannen würde. Bis es soweit ist, möchte Schmidt den Straßenraum neu verteilen und „das individuelle Autofahren unbequem machen“.

Wie das in der Praxis aussieht, kann in der zur Tempo-20-Zone umgewidmeten Bergmannstraße auf gut 500 Metern besichtigt werden. Durch die 17 aufgestellten Parklets, die Installation von zahllosen Fahrradbügeln am Straßenrand sowie die Markierung von Ladezonen, ist die Zahl der Parkplätze von ursprünglich 110 auf 35 reduziert worden. Und das ist schon ein Zugeständnis der Planer an die Anwohner und die Betreiber der Geschäfte und Restaurants. Ursprünglich sah das Konzept überhaupt keine Parkplätze mehr vor. Durch die Parklets wurde die Fahrbahn zudem von neun auf 6,50 Meter verengt, die Verkehrsteilnehmer müssen enger zusammenrücken. Das Nebeneinander von Autos und Fahrädern ist dadurch eher unsicherer geworden, unfreiwillige und gefährliche „Begegnungen“ inklusive, zumal durch die neuen Be- und Entladezonen jetzt noch viel mehr Autos in zweiter Reihe stehen als vorher, wie Anwohner berichten.

Der Streit um die Umgestaltung der Bergmannstraße, die bis zu 1,6 Millionen Euro gekostet hat, ist zugleich ein Lehrstück für das Demokratieverständnis der Grünen. Denn mehr als einmal zeigte sich während der Auseinandersetzung, daß den grünen Lokalpolitikern im seit Jahren von ihrer Partei dominierten Kreuzberg demokratische Entscheidungen und Spielregeln immer dann nicht so wichtig sind, wenn es darum geht, ihre politischen Ziele auch gegen Widerstand aus der eigenen Anhänger- und Wählerschaft durchzusetzen.

Proteste blieben nicht ohne Wirkung

Und Widerstand gegen den Versuch, aus der lebendigen und beliebten Bergmannstraße ohne Not ein Experimentierfeld für die Verkehrswende zu machen, gab es von Anfang an. An vorderster Front waren die Betreiber der zahlreichen Geschäfte, Cafés und Restaurants, die um ihre Kundschaft fürchten. Aber auch viele Anwohner lehnen die Behinderung des Individualverkehrs ab. Das ist bemerkenswert, weil sich die Grünen zur Begründung für den Umbau immer wieder auf „Anwohnerinitiativen“ berufen haben. „Die Bürger wollen dort eine Verkehrsberuhigung. Gefordert wird, den Durchgangsverkehr aus der Straße herauszuhalten, es gibt aber auch Stimmen für eine Fußgängerzone“, behauptet etwa der Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes, Felix Weisbrich. Doch wie die Mehrheitsverhältnisse tatsächlich aussehen, kann niemand genau sagen.

Besonders sauer stieß den Gewerbetreibenden und vielen Anwohnern auf, daß aufgrund der Umbaumaßnahmen in der Bergmannstraße in diesem Jahr das traditionelle Bergmannstraßenfest verlegt werden mußte. Dort, wo sich seit Jahren immer im Juni Zehntausende Berliner und Touristen „begegnen“, war nun kein Platz mehr für die zahlreichen Verkaufsstände und Musikbühnen. Das traf vor allem die Gastronomie in der Straße empfindlich, die besonders von dem Fest profitierte. Einen Höhepunkt erreichte der Streit um die Bergmannstraße, als Schmidt am östlichen Ende der Straße, die zeitweise durch eine Baustelle zur Sackgasse geworden war, Felsbrocken auf die Straße kippen ließ, um zu verhindern, daß die Fläche als Ausweichparkplatz genutzt wird.

Doch die Proteste blieben nicht ohne Wirkung: Ende September soll Schluß sein mit den Experimenten – vorerst. Anfang August kündigte Schmidt an, daß dann die Parklets und die grünen Punkte, die 146.500 Euro gekostet haben und durch die die Autofahrer veranlaßt werden sollten, langsamer zu fahren, wieder verschwinden werden. Bereits im Januar war das Bezirksamt von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) aufgefordert worden, die Erprobungsphase der Begegnungszone Ende Juli zu beenden. Weitere Forderungen, die Parklets und Punkte bis August zu entfernen, folgten. Doch zunächst geschah nichts, die Bezirksverordneten stießen bei Schmidt auf taube Ohren. „So stellt er sich also Demokratie vor? Leider typisch für Fürst Florian von Kreuzberg“, ärgerte sich der CDU-Bezirksverordnete Timur Husein. Der Gescholtene versuchte sich mit Verweis auf die Einbeziehung der Anwohner zu rechtfertigen. „Wenn man viel Bürgerbeteiligung will, dauert es etwas länger, bis alles beendet ist“, sagte Schmidt. Zufällig ausgewählte Haushalte in der Nachbarschaft hatten im Juni umfangreiche Fragebögen erhalten, mit denen sie die Umbaumaßnahmen bewerten konnten. Mitte August fanden zudem sogenannte „Perspektivwerkstätten“ mit Anwohnern statt. Ende dieses Jahres sollen die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung präsentiert werden. Im ersten Halbjahr 2020 sollen der BVV die Planungsvarianten über die künftige Ausgestaltung der Bergmannstraße zur Beschlußfassung vorgelegt werden.

Noch gibt sich Schmidt, der jüngst wegen seiner Zusammenarbeit mit einem ominösen Verein mit Stasi-Verbindungen unter Beschuß geraten ist, nicht geschlagen. Bevor das große Aufräumen und Abbauen in der Bergmannstraße beginnt, haben die Verantwortlichen für den 20. September angekündigt, die Straße in ein „Reallabor“ zu verwandeln. Dann soll für einen Tag der Durchgangsverkehr in der Bergmannstraße durch eine Straßensperre unterbrochen werden, damit die Begegnungszone ihre volle Wirkung entfalten kann und „erlebbar“ wird. Das zeigt, daß Schmidt seinen Kampf um die Bergmannstraße noch längst nicht aufgegeben hat.