© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Auf der Straße statt an der Urne
Demonstration: Das Bündnis „Unteilbar“ mobilisiert in Dresden gegen den „Rechtsruck“
Paul Leonhard

Die Dresdner sollen am kommenden Samstag verwarnt werden. 25.000 Demonstranten, mit mehr als 30 Bussen und zwei Sonderzügen aus der ganzen Bundesrepublik herangekarrt, werden in der sächsischen Landeshauptstadt lautstark bekunden, wen die Sachsen am 1. September keinesfalls wählen dürfen: die AfD. „Wir sehen in Sachsen dringenden Handlungsbedarf: Rassismus und Menschenverachtung sind bereits gesellschaftsfähig geworden. Soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte für alle müssen weiter erstritten werden“, findet Ana-Cara Methmann, Sprecherin der Inititative „Unteilbar“, die die Veranstaltung organisiert.

Es ist ein verzweifeltes Aufbäumen von „Unteilbar“, die durch eine Großdemo in Berlin am 13. Oktober 2018 (JF 43/18), an der nach Polizeiangaben mehr als 100.000 Personen teilnahmen, bekannt geworden ist, um vor der Landtagswahl „das Ruder noch rumzureißen“, so Maximilian Becker, Mitinitiator des Bündnisses in Sachsen: „Positive Bilder haben einen enormen Effekt.“

Vor der Entscheidung an den Urnen soll den Dresdnern daher eindringlich die Macht der Straße demonstriert werden. Unter dem Motto „Solidarität statt Ausgrenzung. Für eine offene und faire Gesellschaft“ rühren derzeit Parteien, Initiativen und Vereine – von Linken, Grünen und SPD, über Arbeiterwohlfahrt und Antifa, bis zum kurdischen Dachverband KON-MED und diversen feministschen Organisationen – bundesweit die Trommel für eine Großdemo in der Dresdner Innenstadt.

Bisher haben derartige Demonstrationen – selbst wenn sie von Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft unterstützt wurden – in Sachsen und speziell in Dresden nur eins bewirkt: einen Aufwärtstrend für die AfD. Während die SPD Sachsen dem „Unteilbar“-Bündnis beigetreten ist und Martin Dulig als Landesparteichef und Vize-Ministerpräsident am 24. August ein klares Zeichen für „ein offenes und gerechtes Sachsen, das alle Menschen respektiert“, setzen will, bleibt die Sachsen-CDU auf Distanz. Seine Partei werde nicht an der Demonstation teilnehmen, gab Parteichef und Regierungschef Michael Kretschmer bekannt, der nicht risikieren will, weitere Wähler aus konservativen Kreisen vor den Kopf zu stoßen.

„Den Rechten geht es nur um Angstmache“

Wenn Zeichen gegen die AfD gesetzt werden sollen, könne er das nachvollziehen, sagte Kretschmer der in Chemnitz erscheinenden Freien Presse: „Aber ich kann als CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident nicht bei einer Veranstaltung dabei sein, bei der auch Kräfte wie die Antifa mit von der Partie sind. Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel.“

Im Oktober 2018 war das noch anders gewesen, da hatte es Staats- und Stadtregierung – wohl unter dem Eindruck der positiven Medienreaktionen auf die Berliner Großdemo kurz zuvor – nichts ausgemacht, in Dresden an einem Protestzug des Bündnisses „Herz statt Hetze“ gegen Pegida dabei zu sein, auf dem auch die Fahnen der Antifa und der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands wehten.

Man wolle mit der Demonstration „auf die schwierige politische Situation“ vor den Landtagswahlen aufmerksam machen, heißt es im Aufruf des „Unteilbar“-Bündnisses: „Wir stellen uns dagegen, daß von rechtsradikalen Gruppen und Parteien, von Pegida, rechten Hooligans und der AfD Humanität, Menschenrechte, Religionsfreiheit und der Rechtsstaat offen angegriffen werden.“

Dresden sei ganz bewußt ausgewählt worden, „gewissermaßen als symbolträchtiger Ort“, weil die Stadt in den letzten Jahren als Pegida-Aufmarschstätte in den Fokus geraten sei, sagt Maximilian Becker vom Leipziger Ableger der Initiative „Ende Gelände“. Eine Veränderung der Stadtgesellschaft glaubt Aktivist Volker Lösch, der als Regisseur unter anderem am Staatsschauspiel Dresden arbeitet, beobachtet zu haben. Dresden sei heute nicht mehr wie 2015 eine „Stadt ohne Haltung“, sondern eine „Stadt der zwei Haltungen“: Man gehöre entweder dem einen oder dem anderen Lager an.

Lösch fordert zudem ein Ende der Gespräche mit Rechten: „Ich stelle immer wieder fest, daß es Rechten gar nicht um Austausch, um Diskussion, um Argumentation, um Kontroverse und schon gar nicht ums Zuhören geht, sondern um Schuldzuschreibungen, die Benennung von Sündenböcken, um Angstmache und die Verbreitung falscher oder einfacher Erklärungsmuster“, sagte der Theatermann auf der Leipziger „Unteilbar“-Demo am 6. Juli. Wenn eine Mehrheit der Mitteldeutschen AfD wähle, müsse „der Aktivismus und Protest der Straße in den nächsten Jahren die wichtigste politische Kraft werden“.

Auch die „Unteilbar“-Initiatoren setzen angesichts der Entscheidung der Wähler auf die Macht der Straße. „Geflüchtete“ und „Engagierte“ – gemeint sind allein die aus der linken Szene – würden im Osten „immer wieder angefeindet, bedroht, attackiert oder angegriffen“, weswegen man „kurz vor der Stimmabgabe ein Zeichen für Solidarität setzen“ solle, so Aktivist Becker. Wenn alle Vertreter der außerparlamentarischen, der zivilgesellschaftlichen Gruppen selbstbewußt zusammenhielten, dann „entfalten wir eine Kraft, an der die Politik nicht vorbeikommen kann“, sekundiert Lösch, der das bei Pegida in Dresden selbst erlebt hat.