© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Trump warnt, aber Peking stellt die Weichen
Hongkong: Die Angst vor zunehmendem Einfluß Chinas treibt die Einwohner auf die Barrikaden / Furcht vor weiterer Eskalation
Marc Zoellner

Selbst das Unwetter konnte sie nicht stoppen: Trotz strömenden Regens fanden sich vergangenen Sonntag erneut über eine Million Demonstranten in und um den zentralen Victoria-Park im Herzen der sieben Millionen Einwohner zählenden Hongkonger Metropole ein, um gegen die prochinesische Regierung sowie gegen das gewaltsame Vorgehen der Polizei zu protestieren. Weitgehend friedlich war die genehmigte Demonstration verlaufen. Von vereinzelten Übergriffen maskierter mutmaßlicher Festlandchinesen, die mit Schlagstöcken auf Protestler losgingen, berichteten Aktivisten im Anschluß.

China verlegt Truppen in die Nähe Hongkongs

Seit der Übernahme der einstigen britischen Kronkolonie durch Peking im Jahr 1997 besitzt Hongkong einen Sonderstatus innerhalb Chinas. „Ein Land, zwei Systeme“, heißt das Prinzip, welches der Stadt umfangreiche wirtschaftliche, innenpolitische sowie juristische Selbstverwaltung zugesteht und für insgesamt fünfzig Jahre gelten soll. 

Doch gerade das Anfang des Jahres von Stadtchefin Carrie Lam geplante, dann revidierte Auslieferungsabkommen mit Peking sahen viele der Hongkonger Bürger deshalb als eklatanten Verstoß gegen dieses Prinzip – und ebenso als unzulässige Einflußnahme Chinas auf die innere Entwicklung des autonomen Hongkong. 

Bislang mußten die Einwohner Hongkongs nicht fürchten, im Falle justitiabler Probleme an das Festland ausgeliefert zu werden, dessen Gerichtsbarkeit als intransparent, parteibestimmt sowie als drakonisch beschrieben wird. Im Gegensatz zu China wurde in Hongkong die Todesstrafe bereits 1993 abgeschafft. 

Chinas Versprechen, das Abkommen beträfe lediglich den Bereich der grenzüberschreitenden Wirtschaftskriminalität, stieß bei den Hongkongern auf fundierten Zweifel: Bereits die Zusage  freier Wahlen wurde 2014 von Peking gebrochen, kurze Zeit später die parteitreue Carrie Lam von der KP Chinas als Stadtoberhaupt bestimmt. 

Die Demonstrationen in der Stadt ziehen von daher ein breites Spektrum an Menschen an; fast jeder mit seinen eigenen Forderungen. „Wir versuchen lediglich, dafür zu kämpfen, was wir bereits haben und was Hongkong ist“, erklärt eine junge Teilnehmerin dem britischen Guardian. „Wir wollen, daß Hongkong Hongkong bleibt, und fordern sonst nichts.“ In der Masse der Protestierenden finden sich auch unzählige Separatisten, welche die Unabhängigkeit Hongkongs von China fordern – und ebenso werden britische Fahnen geschwenkt. 

„Da die Protestbewegung führerlos ist, hat nicht jeder die gleichen Ziele im Sinn“, berichtet der US-Nachrichtensender CNN, dessen Kamerateams die Demonstrationen vom vergangenen Sonntag begleiteten. „Im allgemeinen jedoch tauchten fünf Forderungen immer wieder auf: Das Abkommen soll widerrufen, Carrie Lam zum Rücktritt bewegt, die Polizeigewalt untersucht, die Verhafteten freigelassen und größere demokratische Rechte gewährt werden.“

Der kommunistischen Zentralregierung in Peking sind die Hongkonger Proteste von daher ein Dorn im Auge. Bereits in den vergangenen Wochen hatte die Staatsführung systematisch gepanzerte Truppenverbände nach Shenzhen verlegen lassen, jener ökonomischen Sonderverwaltungszone, die Hongkong wie einen Speckgürtel umgibt und vom Rest Festlandchinas abtrennt. 

Deutlich gab Peking mit diesem Säbelrasseln zur Warnung, im Bedarfsfall auch in Hongkong militärisch einzugreifen wie seinerzeit 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Vor gravierenden wirtschaftlichen Konsequenzen in Hinblick auf die Verhandlungen im Handelskrieg zwischen China und den USA warnte diesbezüglich auch US-Präsident Donald Trump am Wochenende. „Sollten sie Gewalt anwenden, dürfte ein Abschluß ziemlich schwer werden“, erklärte Trump im Interview mit dem US-Sender Voice of America. „Dann gäbe es eine enorme politische Stimmung, nichts mehr [für China] tun zu wollen.“ 

Bereits vergangene Woche hatten sich die bilateralen Beziehungen beider Großmächte erneut verschlechtert. Hinter den Protesten in Hongkong sieht Peking Washington als eine der treibenden Kräfte. Ein routinemäßiges Anlaufen zweier Schiffe der US-Marine wurde von den festlandchinesischen Behörden bereits vergangenen Mittwoch kategorisch untersagt; wohl auch, um Pekings eigene militärische Optionen gegen Hongkong nicht zu gefährden.

Die Haltung Pekings ist mehr als schwammig 

„Noch sieht Peking keinen hinreichenden Grund, seine Truppen nach Hongkong zu verlegen“, beschwichtigt Elsie Leung, Hongkongs ehemalige Justizsekretärin und jetzige Beraterin der KP-Regierung, die Befürchtungen vieler Demonstranten. Eine militärische Intervention, erklärte Leung am Sonntag in einer Ansprache im chinesischen Staatsradio, erfolge erst, „wenn die Leute nicht mehr nur für die Unabhängigkeit Hongkongs werben, sondern wenn sie zu den Waffen greifen, um die Stadt von China abzuspalten.“ 

Eine mehr politische Lösung schwebt dagegen dem chinesischen Staatsrat vor: In der parteieigenen Volkszeitung Renmin Ribao stellte das Kabinett der KP Chinas einen 19 Punkte umfassenden Plan vor, um das 12,5 Millionen Einwohner zählende Shenzhen bis 2025 mit Hongkong zu verschmelzen – und die sieben Millionen Hongkonger damit als  Minderheit verschwinden zu lassen.