© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

„Wir brauchen eine Maut für alle“
Finanzpolitik: Um offene Steuererhöhungen zu vermeiden, sollen Gebühren und Abgaben massiv steigen
Christian Schreiber

Ein drohender Konjunktureinbruch mit sinkenden Steuereinnahmen, ein unübersehbarer Investitionsstau, die Milliarden-Kosten der Flüchtlingspolitik, Pflichtausgaben für Hartz IV und Zinszahlungen für die Altschulden – die Kommunalfinanzen sind vielerorts prekär. Doch merkliche Steuererhöhungen sind im Wahlvolk unbeliebt. Was also tun? Man nehme nehme je eine Portion Stau und Parkplatznot, gewürzt mit Luftverschmutzung und viel Klimaschutz – und fertig ist die Citymaut. Denn welche Kuh eignet sich besser zum Melken als der deutsche Autofahrer?

Zwei Monate nachdem der Europäische Gerichtshof die eher moderaten Pläne von Verkehrsminister Andreas Scheuer zur Einführung einer Autobahnmaut für Pkws bei gleichzeitiger Entlastung deutscher Autofahrer „wegen mittelbarer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit“ stoppte (JF 27/19), droht nun die ganz große Abzocke für alle. Ein entsprechender Vorstoß kommt überraschenderweise aus den Autoländern Bayern und Baden-Württemberg. Wer aber weiß, daß es bei Audi, Bosch, BMW, Daimler &Co. Überlegungen gibt, sich vom Fahrzeug- zum Mobilitätskonzern – Datenerfassung und Verkehrsüberwachung inklusive – zu erweitern, erkennt, wo die teure Reise hingehen soll.

Kennzeichenerfassung und eingebaute SIM-Karten

„Wir brauchen eine Maut für alle“, fordert Roger Kehle, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, der gleichzeitig Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) ist. Gegenüber dem SWR sagte der CDU-nahe Kehle, ein Masterplan für die Schiene und für die Straße sei dringend erforderlich. Bus- und Bahnfahren solle kostenlos sowie der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden – gegenfinanziert durch eine Maut für alle Autofahrer auf Bundes- und Landesstraßen sowie für kommunale Straßen. Nur so sei ein Verkehrsinfarkt zu verhindern und eine Verkehrswende zu finanzieren.

Kehle schwärmte von einer kilometerbezogenen Maut, die Vielfahrer stärker belasten würde als Scheuers gescheiterte Jahresvignette. „Wer mehr fährt, muß mehr zahlen“, erläuterte Kehle. Damit aber nicht nur Großstadtbewohner und besserverdienende Grünwähler begeistert sind, ergänzte er: „Wir müssen aber darauf achten, daß Pendler entlastet werden.“ Mit den Einnahmen aus der Maut für alle solle der ÖPNV subventioniert und ausgebaut werden.

„Busse und Bahnen müssen in Zukunft steigende Fahrgastzahlen aufnehmen können. Das muß finanziert werden. Außerdem sollte Pendlern mit einem 365-Euro-Jahresticket der Umstieg auf den öffentlichen Regionalverkehr schmackhaft gemacht werden“, erklärte Kehle. „Die Umkehrung der Politik der autogerechten (Innen-)Stadt zu einer fußgänger- und fahrradfreundlichen Stadt muß endlich in breiter Form vollzogen werden.“ Das klingt nach einem Uraltsteckenpferd der Grünen, es steht aber im aktuellen Positionspapier „Verkehrswende voranbringen“ des Unions- und SPD-dominierten DstGB.

Auch Datenschutzbedenken sind von gestern – flächendeckende Kennzeichenerfassung (JF 48/18) und verpflichtend eingebaute SIM-Karten in jedem EU-Neuwagen (eCall, JF 18/16) wurden politisch längst durchgewunken. Für Kehles Totalmaut sind weder Kassenhäuschen nötig noch eine kostspielige und aufwendige „Lkw-Maut 4.0“. Was mit einer Kombination von Mobilfunk- und Satellitensystemen (GPS) möglich ist, wissen Avis, Hertz, Sixt & Co längst. Sie dürfen schon seit 2014 ihre Mietwagen per GPS orten und diese bei „Verdacht auf Diebstahl oder vertragswidriger Verwendung“ sogar stillegen.

Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat auch keine grundsätzlichen Einwände gegen eine Totalmaut, bei der auch alle Fahrtstrecken von Privatwagen elektronisch erfaßt werden. „Es ist auf keinen Fall ausgeschlossen aus Sicht des Datenschutzes, daß intelligente Mautsysteme eingeführt werden“, so der ökologisch bewegte langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete. Diese seien sogar aus sozialen und ökologischen Gründen sinnvoll und verfassungsrechtlich begründbar. Nötig seien lediglich „eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten“ und „strikte Zweckbeschränkungen“.

Wer hofft, daß die grünliberalisierte Markus-Söder-CSU das Schlimmste doch noch verhindert, dürfte bitter enttäuscht werden. „Ich halte eine Maut für absolut sinnvoll“, sagt auch Uwe Brandl (CSU), der Präsident des Bayerischen Gemeindetags. Der Bürgermeister des niederbayerischen Abensberg argumentiert mit einer Verlagerung des Verkehrs auf Landes- und Kommunalstraßen, wenn nur die Hauptverkehrsadern belastet würden. „Wir brauchen ein einheitliches Modell, das alle Straßen mit einschließt. Das verhindert, daß die Kommunen durch den Ausweichverkehr der Autobahnen belastet werden“, meint Brandl. Für die Maut will er anders als sein Parteifreund Scheuer selbstverständlich auch deutsche Autofahrer zur Kasse bitten. „Ich finde es nur gerecht, daß jemand, der eine öffentliche Leistung nutzt, dafür auch bezahlt.“

Gerd Landsberg (CDU), Hauptgeschäftsführer des DStGB, ist ebenso von der Totalmaut begeistert: „Wir haben seit Jahrzehnten eine chronische Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur, sowohl bei Straßen als auch bei den Schienen- und Wasserwegen. Besonders die Kommunen, die den größten Anteil am bundesdeutschen Straßennetz haben, schieben einen massiven Investitionsrückstand vor sich her. Die vorhandenen Finanzmittel reichen hinten und vorne nicht, vor allem dann nicht, wenn wir mit einer nachhaltigen Verkehrswende einen Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen“, erklärte Landsberg in einer Mitteilung seines Verbands.

Während sich von den Bundestagsparteien nur die AfD eindeutig gegen eine City- wie eine Totalmaut ausspricht, bleibt ansonsten nur die Hoffnung auf eine erfolgreiche Lobbyarbeit der mitgliederstarken Autofahrerverbände: Pkw-Nutzer zahlten bereits jährlich rund 53 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben im Verkehrsbereich. Diese sinnvoller einzusetzen sollte das Ziel sein, nicht weitere Abgaben einzuführen, argumentiert der ADAC.

Der Automobilclub von Deutschland (AvD) warnt vor einer „dauerhaften Belastung für Gering- und Normalverdiener“. Die gelte auch für den geplanten CO2-Aufschlag für Heizöl und Kraftstoffe: „Wer die Lebenshaltungskosten auf diese Weise nach oben schraubt, leistet sehenden Auges der Spaltung unserer Gesellschaft Vorschub“, warnt AvD-Generalsekretär Lutz Leif Linden.

DStGB-Papier „Verkehrswende voranbringen“:

 www.dstgb.de/

 www.bay-gemeindetag.de





AvD-Argumente gegen die City-Maut

Der Automobilclub von Deutschland (AvD) hat vor der Einführung einer City-Maut gewarnt. „Anders als von den Regierungsberatern dargestellt, hat die bereits 2003 eingeführte Londoner Congestion Charge keineswegs zu einer Reduzierung von Staus oder einer Verbesserung der Luftgüte innerhalb des bemauteten Stadtbereichs geführt. Die einzige Verbesserung hat sich auf der Einnahmenseite des Stadtkämmerers ergeben“, argumentiert der AvD. Eine City-Maut erhöhe auch nicht die Attraktivität des ÖPNV: „Schließlich operieren Bahn- und Bus-Verkehr in allen deutschen Großstädten während der Stoßzeiten bereits an der Kapazitätsgrenze.“ Eine City-Maut belaste hingegen „Menschen mit normalen und niedrigen Einkommen erheblich stärker als die Bezieher hoher Einkommen – und zwar dauerhaft. Schon heute sind Normalverdiener kaum noch in der Lage, eine City-Wohnlage zu finanzieren, und gezwungen, ihren Wohnort mehr und mehr an den Stadtrand bzw. in die Vororte zu verlegen“, kritisiert der AvD.