© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Ende des amerikanischen Traums?
USA: Nach Obamas „Change“ und Trumps „MAGA“ – Ernüchterung allerorten
Jörg Sobolewski

Fort Collins gehört zu den wohlhabenderen Orten in den USA. Die Stadt am Fuß der Rocky Mountains ist einer der Orte, in denen die Vereinigten Staaten noch so sind, wie man sie aus den Filmen und Serien der Neunziger kennt. Die Gärten sind grün, hübsch gepflegt und sauber, die Zäune weiß und die Universität voller junger Leute mit Büchern unterm Arm. 

Hinter vorgehaltener Hand gibt so mancher zu, daß er nicht nur der weißen Zäune wegen die Stadt so angenehm findet: Im Gegensatz zu vielen anderen Städten im Süden ist Fort Collins zu über 80 Prozent weiß. In den Jahren, in denen die Filme, die das Bild vieler Deutscher über die USA geprägt haben, entstanden sind, wäre das kein Thema gewesen. Wer nach Baltimore fliegt, sieht eben viele Afroamerikaner, und in Fort Collins ist es andersherum.

„Rechte und Linke sind auf dem Holzweg“  

Aber das sind nicht mehr die Neunziger oder frühen Zweitausender. Stattdessen ist seit dem Amtsantritt von Donald Trump das Thema „Rasse“ so präsent in der Öffentlichkeit wie seit der Bürgerrechtsbewegung nicht mehr. Wenn sich der US-Präsident mit vier demokratischen US-Abgeordneten streitet, dann steht nicht der politische Inhalt im Zentrum, sondern es geht vor allem um die Hautfarbe der Beteiligten. Besonders die Demokraten sehen sich als parlamentarische Vertretung aller möglichen Minderheiten im Land. Der Kampf für sexuelle, ethnische und kulturelle Partikularinteressen soll die Partei bei der nächsten Wahl ins Oval Office hieven. Dabei könnte die US-amerikanische Realität den Strategen einen Strich durch die Rechnung machen. 

Eine Umfrage im Auftrag der New York Times fand kürzlich heraus, daß ein Großteil der Bürger, die noch mit Mehrheit Barack Obama ins Amt gewählt hatten, bei der Wahl 2016 ihr Kreuzchen bei der republikanischen Konkurrenz gesetzt hatten. Ein schwerer Schlag für das Klischee vom weißen, rassistischen Republikaner.

Tom Austin lächelt ein wenig, als er davon hört. „Der Abbau der verarbeitenden Industrie im Rust Belt, in den Kohlegebieten und so weiter, das hat die weißen Arbeiter genauso getroffen wie die schwarzen Arbeiter.“ Der freundliche Herr im gesetzten Alter leitet ein Obdachlosenheim in Fort Collins. Auf die Frage angesprochen, ob denn auch hier im reichen, weißen Fort Collins überhaupt Bedarf danach bestünde, reagiert er ernst. Seine gemeinnützige Einrichtung wächst kontinuierlich. Was bei anderen Betrieben Freude auslösen würde, ist hier Zeichen eines gesellschaftlichen Verfalls. 

Für immer mehr Amerikaner bedeutet der Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft, daß sie nur noch mit zwei oder mehr Jobs über die Runden kommen. Tom nennt sie „working poor“. Leute, die arbeiten und dennoch zu seinen Kunden zählen. Die meisten von ihnen haben sich zwischen Wohnung und Auto entschieden. 

Beides konnte nicht gehalten werden, und wer kein Auto besitzt, ist in großen Teilen der USA nicht mehr in der Lage, am Arbeits- oder Sozialleben teilzunehmen. „Viele von denen schlafen auf dem Walmart-Parkplatz, ein- bis zweimal in der Woche kommen sie dann zu uns für eine Dusche und ein Frühstück.“ Auf die Ursachen angesprochen, zuckt er mit den Schultern: „Seit Nafta sind viele Betriebe ins Ausland gegangen. Baltimore hatte mal eine erfolgreiche und zahlreiche schwarze Mittelschicht. Dann ist die Möbelindustrie verschwunden, und heute ist das eine soziale Katastrophe.“

Für ihn ist der Fall klar, sowohl Barack Obama („Change“) als auch Donald Trump („Make America Great Again“; MAGA) bemühten im Grundsatz dasselbe Versprechen: radikale Veränderung einer Situation, die langsam, aber kontinuierlich schlechter wird. Tom ist kein Republikaner, das Verhalten des Präsidenten stößt ihn ab. Aber als Linker will er sich auch nicht bezeichnen. Er bezeichnet beide Seiten als „auf dem Holzweg“. 

Die Rechte, so meint er, würde es sich in ihrem Weltbild einrichten und den Strukturwandel soweit wie möglich ignorieren. Die Linke hingegen sähe es als Allheilmittel an, einfach möglichst viel Steuergeld in Form von sozialen Wohltaten über die Bürger herabregnen zu lassen. Aber davon würde sich die Einkommensschere zwischen Arm und Reich auch nicht schließen lassen. Auf seine Position zur Globalisierung angesprochen, lächelt er wieder: „Die Leute kaufen japanische Autos nicht, weil es Freihandelsabkommen gibt, sondern weil sie besser und ökonomischer sind als unsere eigenen. Daran kann auch Trump nichts ändern.“

Weiße, heterosexuelle Männer in der Bredouille 

Wirft man einen Blick auf die Straße, fällt auf, wie sehr er recht hat. Sieht man einen Ford, ist es meist einer der riesigen Trucks. Im Bereich der Mittelklasse- oder gar Kleinwagen sind amerikanische Fabrikationen kaum vertreten. Auch Tom fährt einen Subaru, seine Frau setzt auf einen Hyundai.

Der amerikanische Traum? Er will ihn noch nicht ganz aufgeben: „Wir Amerikaner haben uns immer wieder neu erfunden. Wir sind mobil und arbeiten hart. Aber wenn der American Dream eine Zukunft haben soll, für viele aus der Unterschicht, dann müssen wir uns überlegen, wie wir das anstellen können. Dann brauchen wir Ideen, wie wir dafür sorgen können, daß sich Sparen schon bei kleinsten Summen lohnt. Wie wir es schaffen können, daß auch ungelernte Arbeiter zur Rente über Wohneigentum verfügen. Solche Ideen würden viel besser helfen als irgendwelche Schwärmereien von gewissen Präsidentschaftskandidaten.“

Er nimmt Bezug auf die parteiinternen Vorwahlen der Demokraten. Die dort vertretenen Meinungen reichen vom establishmentliberalen Joe Biden bis hin zur schwarzen Rassen- und Klassenkämpferin Kamala Harris. Beeinflußt und getrieben vom Altlinken Bernie Sanders, ist in den Debatten längst ein Überbietungswettbewerb losgegangen. 

Wer auch immer größere Wohltaten aus Steuergeldern verspricht, wer auch immer den drastischeren Umbau der Gesellschaft propagiert, der kann sich des Beifalls einer aufgeheizten Parteibasis sicher sein. Auch die eigene Abstammung wird genaustens unter die Lupe genommen. Alte, weiße, heterosexuelle Männer wie Biden geraten da schnell ins Hintertreffen. Da hilft ihm auch nicht der Hinweis, als Anwalt für schwarze Aktivisten gearbeitet zu haben. 

Elizabeth Warren hat es da etwas einfacher. Als Frau kann sie ohnehin für sich in Demokratenlogik einen Status als benachteiligte Minderheit reklamieren. Besser wäre allerdings noch eine nichtweiße Abstammung. Nachdem sie sich jahrelang als Angehörige des indigenen Volks der Cherokee bezeichnet hatte, enthüllte ein Gentest vor wenigen Monaten, daß diese Aussage zumindest der Abstammung nach nicht aufrechterhalten werden konnte. Sie fühle sich dennoch den Cherokee zugehörig, ließ die jetzige Kandidatin daraufhin ihre Basis wissen.

Heute gehört Warren zu den härtesten Verfechtern eines Wohlfahrtstaates in den USA. Private Krankenversicherungen will sie gleich verbieten lassen und alle Versicherten zwangsweise in eine gesetzliche überführen lassen.

Anthony Williams hingegen hat von demokratischer Gesundheitspolitik fürs erste die Nase voll. Der Zimmermann hat mittlerweile den dritten Bandscheibenvorfall hinter sich. Die ersten beiden ließ er behandeln, dann kündigte ihm die Versicherung – er hatte zuviel verdient. An sich kein Problem, er hätte eine neue abschließen können. Allerdings ist durch die Einführung einer allgemeinen Mindestabsicherung („Oba-macare“) das System durcheinander gekommen. Wer kaum etwas verdient (einige hundert Dollar im Monat), ist durch Obamacare gut abgesichert. Wer knapp darüber liegt, muß sich privat versichern. Diese Versicherungen sind aber sprunghaft teurer geworden. 

Heute sind Millionen US-Amerikaner gar nicht und einige weitere Millionen unterversichert. So auch Anthony, er hat die Wahl zwischen weiterarbeiten und dem völligen Abrutschen in die Sozialhilfe. Also arbeitet er mit seinem Bandscheibenvorfall weiter. Eine neue Versicherung hat er zwar bekommen, aber die kann erst im Januar in Kraft treten. Bis dahin verlegt er eben unter Schmerzen weiter Parkett. 

„Wenigstens krepiere ich hier nicht auf der Straße“

Auf Politik angesprochen, winkt er ab, „Obama konnte sich in seiner eigenen Partei mit seinem Gesundheitsplan nicht durchsetzen und hat uns diese völlig mißratene Reform hinterlassen. Was ist das für ein Präsident, wenn er in seiner eigenen Partei nicht den Rückhalt für seine Pläne findet? Unter Trump ist alles natürlich nicht besser geworden.“ 

Ein Fan des Präsidenten ist auch er nicht. Aber die Demokraten wird er auch nicht wählen. Anthony fährt einen großen Truck mit beschädigter Windschutzscheibe, begeistert sich für Football, und seine Frau ist eine ehemalige Cheerleaderin, sein amerikanischer Traum ist meilenweit von dem entfernt, was in den liberalen Hochburgen an beiden Küsten geträumt wird. „Meine Familie ist in den zwanziger Jahren hierher gekommen, was geht mich die Sklaverei an?“ 

Einzig für ein demokratisches Kernanliegen kann er sich begeistern: Die Legalisierung von Marihuana ist ihm ein Anliegen: „Ohne Gras könnte ich nicht mehr arbeiten.“ Die konservative Regierung von Idaho stemmt sich bisher noch dagegen, die Nachbarstaaten Colorado und Washington sind den Weg hingegen bereits gegangen. So fährt Anthony einmal im Monat über die Grenze ins liberale Washington, um seine Vorräte aufzufüllen.

Jim hat gar keinen Traum mehr. Seinen vollen Namen will er nicht nennen, er wohnt unter einer Brücke in Seattle. Die Arme sind voller Einstiche, seit einem Jahr ist er heroinabhängig. Alles begann mit einem Bänderriß. Mangels Krankenversicherung blieb dieser lange unbehandelt, bis sich schließlich ein Arzt einer Wohltätigkeitsorganisation seiner annahm. Gegen die Schmerzen bekam Jim starke Schmerzmittel verschrieben. Die Verletzung verheilte, die Tabletten blieben. Nachdem er in der Apotheke keine mehr bekam, wich er auf Heroin aus. Als er seinen Job in einer Fastfoodkette verlor, erwarb er von seinem letzten Geld ein Busticket nach Seattle – der liberale Staat hat für Obdachlose eine kostenlose Gesundheitsvorsorge. Er zuckt mit den Schultern: „Wenigstens krepiere ich hier nicht auf der Straße.“

Sein Schicksal steht stellvertretend für die Opiatepidemie der USA. Besonders in der Unterschicht grassiert die Abhängigkeit. Ausgelöst durch viel zu leichtfertig verschriebene Schmerzmittel, die in Europa kaum oder nur schwer zu kriegen sind. Die Pharmaindustrie hatte hartnäckig in Washington für eine Zulassung lobbyiert – die Folgen zahlt das ganze Land.

Die USA an der Schwelle zum Jahr 2020, das ist viel Schatten und eine polarisierte Gesellschaft. Die von der Regierung vorgelegten Zahlen sind eigentlich gut, mehr Amerikaner als in all den Jahren Obama sind in Lohn und Brot. Aber die Schere zwischen Arm und Reich ist auch so groß wie noch nie. 2018 besaß das reichste Prozent der Bevölkerung 42 Prozent des gesamten Vermögens – so viel wie noch nie in der US-amerikanischen Geschichte. Ob in fünf Jahren noch ein amerikanischer Traum existiert, wird elementar davon abhängen, wie die nächste Regierung dieses Thema angehen wird. Mit dem inoffiziellen Slogan „It’s the economy, stupid!“ gewann Bill Clinton einst seine Wahl, die Demokraten im Jahr 2019 reden hingegen lieber über Rassen- und Klassenfragen. Donald Trump wird es freuen.