© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

Pankraz,
Hubertus Knabe und die wachsende Angst

Welche Rolle spielt die Angst in der Politik? Das Thema ist brandaktuell und hat tausenderlei Facetten. Hubertus Knabe hat sich jetzt in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (wo sonst?) eine dieser Facetten, nämlich „Das Klima der Ängstlichkeit und seine Folgen“ herausgegriffen und dazu viele wichtige, interessante Aspekte ins Spiel gebracht. Kaum ein anderer ist dafür besser geeignet als er, hat er doch sowohl mit der verflossenen DDR als auch mit der gegenwärtigen wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland eine Menge (meist unerquicklicher) Erfahrungen sammeln können.

Der Vergleich zwischen den Praktiken der offiziellen Angstmacherei in der DDR und der  in der gegenwärtigen Bundesrepublik spielt denn auch eine zentrale Rolle in seinem Aufsatz. In beiden Staaten registriert er ein auffällig großes Maß an „Abgehobenheit“ der offiziellen Politik und der ihr zugeordneten „Leitmedien“ von dem, was eigentlich passiert und den Alltag der sogenannten „kleinen Leute“ prägt, wodurch eine überall spürbare Entfremdung zwischen „oben“ und „unten“  entsteht; vor allem ehemalige DDR-Bürger, sogenannte „Ostdeutsche“, konstatiert Knabe,  litten zunehmen darunter.

Ihr „passiver Widerstand“ sei am Wachsen und verführe das herrschende Establishment zunächst einmal dazu, ein Klima der Angst zu erzeugen und die Leute flächendeckend einzuschüchtern. „Politik und Medien“, schreibt Hubertus Knabe, „tragen die Hauptverantwortung dafür, daß in Deutschland immer mehr Menschen Angst haben, offen ihre Meinung zu sagen. Laut einer Allensbach-Umfrage hatten 45 Prozent der Befragten im November 2015 den Eindruck, man müsse vorsichtig sein, wenn man sich zur Flüchtlingsfrage äußere. Im Mai 2019 hatten bereits zwei Drittel der Befragten das Gefühl, man müsse im öffentlichen Raum ‘sehr aufpassen’, was man sage.“


Und weiter Knabe: „Neben der Flüchtlingsfrage wurden jetzt auch die Themen Nationalsozialismus, Juden, Rechtsextremismus, Patriotismus, Homosexualität und die AfD als angstbesetzt benannt. Die Aggressivität und Intoleranz im politischen Diskurs erinnert zuweilen fatal an DDR-Verhältnisse, nur daß der Druck jetzt nicht nur von oben kommt, sondern auch von der Seite durch manche Journalisten und von ihnen gehypte Minderheiten.“

Über die Frage „Nur von oben oder auch von der Seite?“ kann man sich streiten. Wer ist denn real oben? Und wer steht angeblich nur an der Seite? Viele Politikbeobachter sind längst der Überzeugung, daß die eigentliche Macht in unserer Demokratie nicht von den gewählten Exekutoren ausgeht, sondern von ungewählten „Beratern“, „Influencern“, „Investoren“, die nicht selbst entscheiden, sondern die Verantwortung für die Entscheidung den Exekutoren überlassen, mit allen negativen Folgen bei eventuellem Scheitern: Postenverlust, Geldverlust, Gesichtsverlust …  

Gänzlich unerörtert bleibt von Knabe leider auch die Frage, welchen Einfluß auf das Angsthaben und Angstmachen das durch das Internet ermöglichte Datensammeln und Algorithmisieren der Politik haben werden. Ehemalige und in Erinnerungen schwelgende Stasi-Funktionäre sind da schon weiter. „Ach, wenn wir zu unserer Zeit doch schon Big Data und KI gehabt hätten! Wieviel schwierige Arbeit mit unzuverlässigen IMs, wieviel Verhöre von Konterrevolutionären hätten wir uns sparen können!“

Etwas fröhlicher drückte sich (laut Adrian Lobe, ebenfalls in der NZZ) der chinesische Parteigenosse und Großunternehmer (Besitzer der Alibaba Group) Jack Ma aus. Viel interessanter und wichtiger, meinte der, als die lediglich ökonomisch relevante Frage, ob durch Big-Data-Analysen eine effektivere Ressourcenallokation des Sozialismus möglich wäre, sei doch der Umstand, daß durch die Ankunft einer neuen Technologie (KI) eine bloße Ideologie, der Kommunismus, der unendlich viele sinnlose Opfer gefordert habe, nunmehr in eine humanistische Wirklichkeit, nämlich den Datenkapitalimus, verwandelt werde.


Machen uns Computer und Internet also langfristig alle zu Kommunisten, und zwar ohne KZ und Erschießungskeller? So fragt sich zuletzt Adrian Lobe in der NZZ, und so fragt sich – etwas bänglich – auch Pankraz. Die Lektüre von Hubertus Knabes Beitrag über die Rolle der Angst in der Politik ließ ihn freilich daran zweifeln, und zwar ohne daß ihm dabei viel Erleichterung zuteil würde. Gewalttätige, Angst verbreitende Politik entsteht nicht nur durch KZ und Genickschuß wie unter Stalin, sondern auch und in erster Linie durch drohende staatliche Verlautbarungen und mediale Verstärkung des Drohens.

Und sie kommt – da hat Hubertus Knabe nur allzu recht – nicht nur von oben, sondern auch und nicht zuletzt „von der Seite“, wie er sich ausdrückt, ist Resultat von Kontakt- und Zugehörigkeitsverlust, Ausschluß aus einer Gemeinschaft, die einem unendlich teuer ist. Heidegger hat es klargestellt: Der Grund von menschlicher Angst ist nicht Todesangst, sondern Existenzangst. DerTod ist allgemeines Schicksal, das wir unabwendbar mit allem Lebendigen teilen, er stiftet, mag sein in unheimlicher Weise, Gemeinsamkeit. Der Ausschluß aus der Gemeinschaft hingegen trifft uns allein.

Marc Crépon, von der „Ecole Normale Supérieure“ in Paris, erklärter Heidegger-Schüler und überzeugter Existentialist, drückt es in seinem Buch „Die Kultur der Angst“ folgendermaßen aus: Gegen die Angst vor dem Tod hilft gutes Einverstandensein mit unser aller Schicksal, aber zur Überwindung des sozialen Terrors des Drohens und Vereinnahmenwollens gehören wahrer Mut und entschlossener Wille zum Widerstand. 

Auch zum gelassenen Ertragen und gut organisierten Widerstandleisten gegen Drohungen, die gleichzeitig von oben und „von der Seite“ kommen, gehören wohl Mut und Wille zum Widerstand. Das Leben wird dadurch vielleicht etwas schwieriger, aber nicht schlechter. Feiglinge sind dafür ungeeignet.