© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Jacob Rees-Mogg, der neue Vorsitzende des Unterhauses, hat nicht nur die Verwendung von „Empire-Maßen“ angeordnet, sondern auch ein zweiseitiges Papier ausgeben lassen, in dem festgehalten ist, welche modischen Begriffe aus offiziellen Texten zu verschwinden haben; weiter wurde bestimmt, daß die Adresse jener Mitglieder des Parlaments, die über keinen Adelstitel verfügen, wieder mit dem nachgestellten Kürzel „Esq.“ für „Esquire“ – etwa „Wohlgeboren“ – zu versehen ist. Das alles wird seine Gegner in ihrer Überzeugung bestärken, daß Rees-Mogg der letzte „ehrenwerte Vertreter des 18. Jahrhunderts“ sei oder – etwas weniger wohlwollend – ein „Trump mit Zylinder“. Indes handelt es sich bei Rees-Mogg weder um einen exzentrischen Kauz noch um einen geschickten Populisten. Er verteidigt allerdings seine Positionen unerbittlich, was etwa den Brexit, den Kampf gegen Abtreibung und die Schwulenehe betrifft, gehört gleichzeitig zu den Köpfen der einflußreichen „Cornerstone“-Gruppe der konservativen Fraktion (Schlachtruf „Faith – Flag – Family!“ – „Glaube – Fahne – Familie!“) und macht aus seiner Sympathie für die Sozialen Medien kein Hehl. Seit 2017 verfügt Rees-Mogg über einen Twitter-Account. Die erste Meldung, die er abgesetzt hat, stand da auf Latein: „Tempora mutantur, et nos mutamur in illis“ – „Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen.“

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Wenn es von der Intelligenz her zu sonst nichts reicht, kann man immer noch Rechtsextremismusexperte werden.

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Die Vorgänge um die Ablehnung des von dem Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski initiierten Antrags auf Errichtung eines Instituts zur vergleichenden Diktaturforschung an der Berliner Universität sind für sich genommen schon skandalös. Skandalös, aber nicht überraschend. Man hat es nur mit einem weiteren Triumph der Linken in jenem Kulturkrieg zu tun, den sie vor fünfzig Jahren angezettelt hat und seitdem siegreich führt, während die feige Mitte nur mit Ausweichen oder Rückzug reagiert. Das war schon unübersehbar nach dem sogenannten Historikerstreit und der von Ernst Nolte ausgelösten Debatte über die Vergleichbarkeit roter und brauner Massenverbrechen. Der Konflikt erscheint heute allerdings wie ein Muster von Fairplay und Differenziertheit, verglichen mit dem, was sich nun im Falle Baberowskis abspielt. Offenbar hat man endlich erreicht, daß nicht mehr nur die Unbelehrbaren und die Dummen, sondern auch die ganz große Mehrheit der akademischen Welt wie selbstverständlich mit zweierlei Maß mißt und das Bild der Vergangenheit von Leuten kontrolliert wird, die meinen, daß Kommunismus „an sich“ eine gute Idee war, die man durchaus ein weiteres Mal praktisch erproben könnte, und alles, was als Faschismus gilt, keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen.

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Die Sprecherin der Regierung Macron, Sibeth Ndiaye, hat heftige Reaktionen mit der Feststellung ausgelöst, daß der Franzose im Regelfall keinen Hummer, sondern Kebab esse. Kommentar von Robert Ménard, Bürgermeister von Béziers, und bekannt für seine politisch inkorrekten Auffassungen: Madame Ndiaye halte offenbar ganz Frankreich für eine große Banlieue, aber so weit sei es „noch nicht“.

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Hier und da wurde versucht, dem Thema „overtourism“ – also dem übermäßigen Zustrom von Vergnügungsreisenden an besonders attraktiven Orten – die Spitze zu brechen. Aber wie soll das Schloß von Versailles bis zu 45.000 Personen täglich überstehen, angesichts der Tatsache, daß es in der Blütezeit des französischen Königtums gerade 3.000 Menschen beherbergte?

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Der Sommer 1919 war ein „roter Sommer“, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Weltgegenden brachen damals Streiks und Aufstandsbewegungen aus. In Peking protestierten mehrere tausend Studenten gegen die Regelungen der Friedensverträge, die China betrafen; unter ihnen zwei Männer, die die Demütigung des eigenen Landes politisch radikalisierte: Mao Zedong und Zhou Enlai, die künftigen Köpfe der chinesischen KP. In Großbritannien erreichten die Auseinandersetzungen eine solche Heftigkeit, daß Winston Churchill eine bolschewistische Revolution für denkbar hielt. Nicht anders in den USA, die von Arbeiter- und Rassenunruhen erschüttert wurden und sich zu drastischen Abwehrmaßnahmen entschlossen. Bis Anfang der 1920er Jahre ließ die Regierung mehr als 20.000 Anarchisten, Linkssozialisten und Kommunisten nach Rußland deportieren.

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Man muß der gegenwärtigen Debatte über unsere Ernährungsweise den rationalen Kern gar nicht bestreiten, um doch zu sehen, daß hier eine jener Abgrenzungsmaßnahmen verhandelt wird, die Identität stiften, wie seit je die Scheidung des „Rohen“ vom „Gekochten“, dessen, was nicht „koscher“ ist von dem, was die Tora erlaubt, des „Unreinen“ vom „Reinen“, des „Barbaren“ vom „Zivilisierten“. 


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 6. September in der JF-Ausgabe 37/19.