© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 35/19 / 23. August 2019

An Audio führt kein Weg vorbei
Trotz Podcast-Konkurrenz: Das klassische Radio kann seine Position festigen
Christian Schreiber

Das Sterben der klassischen Medien ist in aller Expertenmunde. Die Auflagen der Zeitungen und die Quoten der Fernsehstationen sinken zum Teil dramatisch. Doch einem hundert Jahre alten Medium kann der Trend nichts anhaben. Immer mehr Menschen in Deutschland hören Radio und lauschen Podcasts. Die Folge: Große und kleine Unternehmen bauen online ihr Audiosegment aus, und die Reichweite der Radiosender ist zuletzt deutlich gestiegen.

Laut der Media-Analyse Audio haben gegenüber den ersten drei Monaten im zweiten Quartal jene Rundfunkstationen, die Werbung ausstrahlen, die Zahl ihrer Hörer pro Durchschnittsstunde um 918.000 steigern können. Das entspricht einem Plus von 4,3 Prozent. 22 Millionen Menschen pro Stunde konsumieren demnach montags bis freitags zwischen 6 und 18 Uhr ein zumindest teilweise werbefinanziertes Radioprogramm. Dazu gehören auch öffentlich-rechtliche Stationen, die sich aber überwiegend aus dem Rundfunkbeitrag finanzieren. 95,2 Prozent aller Deutschen sind Hörfunkkonsumenten.

Gleichzeitig ist das Radio – von Online-Vermarktern und Außenwerbung abgesehen – die einzige Medienbranche, die ihren Brutto-Werbeumsatz steigern konnte; auf 938,8 Millionen Euro. Im abgelaufenen ersten Halbjahr ging es damit um 0,9 Prozent nach oben. Zum Vergleich: Die Fernsehsender verloren 1,3, die Zeitungen 1,7 und die Publikums- und Fachzeitschriften 3,6 Prozent.

Drei Gründe sieht Carsten Neitzel, Geschäftsführer der öffentlich-rechtlichen NDR Media für das Wachstum: „Weil es für unsere Kunden wirkt, weil Hörfunk es geschafft hat, alle Ausspielwege zu erobern, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr interessant ist.“

Den meisten Hörern dürfte es dabei weniger um Informationen als mehr um die Musik gehen. Denn anders als die Podcasts dominieren über den Äther nicht die wortlastigen Programme. Gleich fünf Sender, die auf jeweils nur ein Bundesland ausgerichtet sind, kommen auf mehr als eine Million Hörer in der Durchschnittsstunde: radio NRW, Bayern 1, WDR 2, Antenne Bayern und SWR 3. Erst auf Platz 31 der aktuellen Rangliste steht mit „B5 aktuell“ ein Nachrichtensender. Das Programm des Bayerischen Rundfunks sendet für 183.000 Hörer. Nicht berücksichtigt ist das werbefreie, bundesweit ausgestrahlte öffentlich-rechtliche Deutschlandradio, dessen drei Programmen Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova rund zwei Millionen Menschen lauschen.

UKW-Abschaltung sorgt für Ärger

Der Trend zum Zuhören erreicht auch das Internet, wo Podcasts boomen. Fast jedes große Nachrichtenportal hat inzwischen solche Audioangebote eingeführt. Auch Blogs und kleinere Unternehmen gehen mit. Der ehemalige Chefredakteur des Handelsblattes, Gabor Steingart, setzt beim Ausbau seines Online-„Morning Briefings“ ebenfalls auf Zuhörformate. Demnächst will er fünf bis zehn neue Podcasts einführen. Bis zu 30 zusätzliche Mitarbeiter plant er dafür einzustellen, sagte er dem Mediendienst turi. Geheimnisvoll bleibt die Finanzierung. Denn Steingart möchte auf Werbung verzichten. Spots, selbst wenn sie als „Anzeigen“ gekennzeichnet seien, bezeichnet er als „ein Übers-Ohr-Hauen der Leser und Hörer“. Steingart erwägt offenbar Abo-Modelle und den Einstieg von Investoren in seine Media Pioneer Publishing GmbH. Alex Springer beteiligt sich bereits mit 36 Prozent an dem Unternehmen, das Steingart langfristig in eine Aktiengesellschaft umwandeln will, um Leser und Zuhörer als Aktionäre beteiligen zu können.

Auch Bertelsmann drängt mit seinem großen Potential – Gruner + Jahr sowie RTL Radio Deutschland sind Bestandteile des Konzerns – noch mehr in den wachsenden Markt. Die Gütersloher haben die „Audio Alliance“ gegründet. Diese entwickelt und produziert seit Mai alle Podcasts und Audioformate des Unternehmens. Das Ziel: Umsatzsteigerungen. Julia Jäkel, Gruner + Jahr-CEO betont: „Die Audio Alliance ist eine Einladung an alle Kreativen innerhalb von Bertelsmann und außerhalb, ihre Podcasts und Audioangebote zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten.“

Die vielen Erfolgsmeldungen verdecken eine große Gefahr – vor allem für private Anbieter: die Abschaltung von UKW. Demnächst sollen die Programme nur noch über DAB+ ausgestrahlt werden dürfen. Die privaten Anbieter fürchten die Pleite zahlreicher, vor allem regionaler Stationen. UKW sei „aktuell das einzig funktionierende Geschäftsmodell, mit dessen Erlösen wir die Investitionen für den Aufbau unserer digitalen Übertragungszukunft erwirtschaften können“, sagt der Vize-Vorstand des Privatsenderverbands Vaunet, Klaus Schunk.

Er beklagt „politische Gründe“ für die neue Technik und ein Ungleichgewicht: Den Öffentlich-Rechtlichen stünden „600 Millionen Euro aus Beitragsmitteln“ bis 2025 für den Umstieg zur Verfügung. Auf die Privatsender käme eine ähnliche Summe zu. Allerdings sei die über Werbeeinnahmen nicht zu erzielen. Schunk spricht von einem „Desaster“. Sollte er recht behalten, würden demnächst die Öffentlich-Rechtlichen den wachsenden Markt dominieren.