Anfang des 20. Jahrhunderts geriet die Geschlechterordnung der westlichen Welt infolge zunehmender Erwerbsarbeit von Frauen in Bewegung. Dieser „Feminisierung des Kontors“ folgte der Erste Weltkrieg als „Schrittmacher der Emanzipation“, weil viele Frauen in den Büros der „Heimatfront“ die Kriegsdienst leistenden Männer ersetzen mußten. Mit einer Lokalstudie über das Essener Chemieunternehmen Th. Goldschmidt AG möchte die Bochumer Doktorandin Anna Horstmann diese gefestigte herrschende Meinung ins Wanken bringen (Gender, 2/2019). Stattdessen läuft ihre Untersuchung nicht nur auf deren Bestätigung, sondern auch auf die unbeabsichtigte Dekonstruktion des in ihren Kreisen gepflegten „Narrativs“ von den patriarchalischen Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft hinaus. Scheitert doch der Versuch, anhand von Arbeitszeugnissen aufzuzeigen, wie nach 1914 weiter ein ungebrochen „stereotypes Geschlechter- und Familienbild“ herrschte, daran, daß Horstmann für diese Akzentuierung angeblich „vergeschlechtlichter Persönlichkeitsmerkmale“ wie Fleiß, Gewissenhaftigkeit oder Höflichkeit keine überzeugenden Belege liefert. Dafür gelingt ihr um so besser der Nachweis, wie sehr die Unternehmensleitung geschlechtsunabhängige individuelle Spezialkenntnisse in modernen Sprachen, in Stenographie oder Maschineschreiben schätzte.