Wer auf der Suche nach Lesetips abseits ausgetretener Pfade ist, wird bei diesem Buch auf jeden Fall fündig. Werner Olles stellt in 68 Kurzbiographien meist wenig bekannte, aber dennoch interessante und lesenswerte Autoren vor.
Die Zahl 68 könnte dabei fast als symbolische Andeutung erscheinen, denn der Autor begann seine ersten politischen Gehversuche während der 68er-Revolte. Er war Mitglied des SDS, aktiv bei Jusos und „Roten Panthern“. Doch der Blick ins Innere der linken Szene und deren Radikalisierungstendenzen führte bei ihm alsbald zum Umdenken. Olles wandte sich den linksnationalistischen „Nationalrevolutionären“ und schließlich dem katholisch-konservativen Lager zu. Seinen Werdegang hat er einst in der Anthologie „Bye-bye ’68“ ausführlich beschrieben. Seit über zwei Jahrzehnten gehört Werner Olles zu den Stammautoren der JUNGEN FREIHEIT. Viele Buch- und Zeitschriftenbesprechungen hat er verfaßt, aber auch Autorenporträts. Nun hat Olles eine Sammlung jener Porträts herausgebracht, die er im Laufe der Jahre auch für andere Publikationen verfaßt hat.
Autoren sind oft Scheiternde oder Randständige
Der Untertitel des Buches ist nicht ganz glücklich gewählt, da er nur auf schätzungsweise neunzig Prozent der Autoren zutreffen mag. Nicht alle der porträtierten Schriftsteller arbeiteten im 20. Jahrhundert. Edgar Allan Poe oder Robert Louis Stevenson, der Schöpfer der „Schatzinsel“, lebten im 19. Jahrhundert. Und nicht alle von ihnen sind vergessen oder verfemt. So sind Schriftsteller wie Jack Kerouac, Jack London oder Antoine de Saint-Exépery dem gemeinen Leser keinesfalls unbekannte Namen. Auf die Mehrzahl der vorgestellten Autoren indes trifft die Bezeichnung als „vergessen“ oder „verfemt“ durchaus zu. Und hier liegt die Stärke dieser Artikelsammlung.
Vielen nämlich, die übersättigt vom Literaturbetrieb der Gegenwart sein mögen, dürften bei den Hinweisen auf Edwin Erich Dwinger, Yukio Mishima, Ernst von Salomon oder Reinhold Schneider manch interessante Perle finden, deren Erwerb zumindest antiquarisch möglich sein sollte. Olles selbst erklärt in seinem Vorwort, daß die Auswahl der Autoren rein subjektiv geschehen sei. So kann der Leser zu Recht fragen, welche Linie die unterschiedlichen Autoren verbindet.
Was hat ein Dadaist wie Johannes Theodor Baargeld mit dem heroischen Dandy Gabriele D’Annunzio, dem Pazifisten Erich Kästner und dem Kriegsberichterstatter der Waffen-SS und „Derrick“-Drehbuchautor Herbert Reinecker gemeinsam? In welche Reihe gehören der Reaktionär Nicolás Gómez Dávila, der Nationalbolschewist Ernst Niekisch und der Mönch Charles de Foucauld? Die Texte selbst geben eine Antwort. Oft sind die vorgestellten Autoren Eigenbrötler, Randständige, Scheiternde. Es sind Phantasten, die Erlösung suchten, sie nicht in dieser Welt fanden, sich sexuellen Orgien, dem Alkohol und der Schriftstellerei hingaben. Es sind Existenzen, die in der heutigen Wohlstandswelt mit ihrer Rundum-Versorgung seltsam fremd wirken. In einer Zeit der permanenten Präsenz von stumpfen Meldungen aus den sozialen Netzwerken erscheint der innere Kampf dieser Menschen für viele Zeitgenossen mittlerweile befremdlich, wie aus der Zeit gefallen. Womöglich ahnten die Schriftsteller diese Tragik und zerbrachen gerade auch daran. Werner Olles hat ihnen nun auf leicht lesbare Weise ein kleines Denkmal gesetzt.
Werner Olles: Grenzgänger des Geistes. Vergessene, verkannte und verfemte Schrifsteller des 20. Jahrhunderts, Lindenbaum Verlag, Schnellbach 2019, broschiert, 329 Seiten, 19,80 Euro