© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Raub und Rast
„Planenschlitzer“: Organisierte Diebesbanden plündern parkende Lastwagen / Schäden in Millionenhöhe
Jörg Kürschner

Seit vielen Jahren macht der Diebstahl von Lkw-Ladungen auf Autobahnrastplätzen dem deutschen Güterkraftverkehrsgewerbe finanziell schwer zu schaffen. Tendenz steigend. Branchenverbände fordern deshalb rasche Lösungen. Das Problem ist in der Politik angekommen, doch die Bundesregierung weicht konkreten Antworten aus und verweist auf die Europäische Union.

Erst vor zwei Wochen machten die Planenschlitzer wieder fette Beute. Im Schutz der Dunkelheit entwendeten sie auf dem Rastplatz „Mühlenberg“ an der Autobahn A 14 in Fahrtrichtung Leipzig hochwertige Elektronik im Wert von mehr als 10.000 Euro. Sie schlitzten die Plane eines Sattelzuganhängers auf und luden zweieinhalb Paletten in ihr eigenes Fahrzeug. Die Polizei ermittelt wegen schweren Bandendiebstahls.  

Geklaut wird alles, was man verkaufen kann

Allein in Niedersachsen schlugen die Planenschlitzer im vergangenen Jahr fast 700mal zu. Besonders betroffen ist die A 2. Die Aufklärungsquote liegt bei nur etwa sieben Prozent, der Schaden wird vom Landeskriminalamt auf rund acht Millionen Euro geschätzt. Bundesweit summierten sich die Verluste bei vermuteten 26.000 Straftaten auf über eine Milliarde Euro, schätzen die Transportverbände. Eine bundesweite Erhebung durch die Polizei erfolgt bisher nicht. Allein das Zerschneiden einer Plane schlägt mit mindestens 3.000 Euro zu Buche.

Die Machart ist stets dieselbe. In der Ruhe- oder Schlafpause der Fahrer spähen fünf bis acht Personen die meist unbeleuchteten Parkplätze aus und parken ihren Transporter neben dem Lkw. Rasch schlitzen sie mit Teppichmessern und Stirnlampe ausgerüstet türgroße Löcher in die Plane und plündern den Lkw aus. Mitunter werden Störsender eingesetzt, um Handy- und Funkverbindungen lahmzulegen. Geklaut wird alles, was wieder verkauft werden kann, neben Elektronik auch Kosmetikartikel, Spielzeug, Nahrungsmittel. Das Diebesgut wird häufig auf Verkaufskanälen im Internet angeboten. Oft merken die Fahrer nichts von der Plünderung, da der Geräuschpegel wegen der nahen Autobahn meist hoch ist. Übergriffe auf Fahrer seien die Ausnahme, berichten die Ermittler.

Doch es gibt auch Lichtblicke im harten Güterkraftverkehrsgewerbe. Adalbert Wandt, Senior der vor 80 Jahren gegründeten, heutigen „Wandt Spedition Transportberatung GmbH“ in Braunschweig, ist froh, daß das Unternehmen von Planenschlitzern verschont geblieben ist. „Wir haben bisher Glück gehabt. Bei immerhin mehr als 80 Lastzügen“, betont er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Das „Erfolgsrezept“ sei darin begründet, daß alle Lastzüge gut beschriftet seien, regelmäßig gewaschen würden und alle ein bis zwei Tage zum Standort zurückkehrten. „Wir trampen nicht“, das heißt, Auflieger und Zugmaschine werden nicht voneinander getrennt, stellt Wandt klar, der viele Jahre als Präsident des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) die Interessen der Logistikbranche vertreten hat.

In dieser Zeit hat er die Unruhe im Gewerbe gespürt und von der Politik Gegenmaßnahmen verlangt. Wie auch der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), der die Einrichtung einer auf Frachtraub und Ladungsdiebstahl spezialisierten Schwerpunktstaatsanwaltschaft fordert. Positiv bewertet deren Hauptgeschäftsführer Frank Huster die im Sommer 2018 gegründete sechsköpfige Projektgruppe „Cargo“ des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt, die in Magdeburg die Ermittlungen bundesweit koordiniert. Beteiligt an dem Projekt sind auch Brandenburg, Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Bundeskriminalamt. Internationale Partner sind Polen, Tschechien, Schweden, Dänemark, Frankreich, die Niederlande sowie die europäische Polizeiorganisation Europol. Die Ladungsdiebstähle sind in den ersten Monaten dieses Jahres zwar deutlich gesunken, doch die Schäden der Unternehmen bleiben nach wie vor sehr hoch.

Cargo-Projektleiter Guido Sünnemann ordnet die Planschlitzer-Banden der Organisierten Kriminalität zu. Ende vergangenen Jahres hatte sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit endlich ausgezahlt. In der polnischen Stadt Bialystok stellten Polizeibeamte hochwertige Netzwerkkameras im Wert von mehreren Millionen Euro sicher. Diese waren in Sachsen-Anhalt gestohlen worden. „90 Prozent der Täter bei uns kommen aus Polen“, zitiert Sünnemann die Statistik. Das Risiko, entdeckt zu werden, ist – noch – gering. Als Präventivmaßnahme verweist die Projektgruppe auch auf sogenannte Alarmplanen, die ein Signal auslösen, wenn die Plane beschädigt wird. Kosten pro Fahrzeug etwa 4.000 Euro. Planen durch feste Container zu ersetzen wären für das meist mittelständische Gewerbe eine hohe Investition.

Fehlende Stellplätze verschärfen die Lage 

Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sieht die Ursache für die Diebstähle in einer unzureichenden Parkplatzsituation. „Es mangelt an sicheren Lkw-Parkplätzen in Deutschland“. In der Antwort der Bundesregierung auf seine Kleine Anfrage verweist diese auf eine EU-Expertengruppe, die an „der Einführung eines EU-weiten Standards“ für sichere Parkplätze arbeite. Deren Ergebnis läge aber bereits seit einem Jahr vor, empört sich Luksic. „Statt weiter Zeit verstreichen zu lassen, fordere ich die Bundesregierung dazu auf, die Vorschläge der Expertengruppe gezielt umzusetzen und damit die Sicherheit für Lkw-Fahrer und ihre Ladung zu erhöhen.“ Denn gefährlich wird es, wenn aus Platzmangel Ausfahrten von Rastplätzen zugestellt würden. Schätzungen des (BGL) zufolge fehlen bundesweit 35.000 bis 40.000 Lkw-Stellplätze. Nach Angaben der Verbände schlagen die Planenschlitzer besonders häufig an der Nord-Süd-Autobahn A7 und der West-Ost-Verbindung A2 sowie der A4, A44 und A6 zu.

Im zuletzt 2017 aktualisierten „Aktionsplan Güterverkehr und Logistik“, einer Art Handlungsanweisung für Politik und Gewerbe, wird die Schaffung von Parkplätzen aufgrund des ständig steigenden Lkw-Aufkommens im Transitland Deutschland als „Daueraufgabe“ bezeichnet. Ohne greifbares Ergebnis sind bisher Bemühungen des Verkehrsministeriums geblieben, die Innenministerkonferenz mit dem Thema Planenschlitzer zu befassen. Was sinnvoll wäre, da polizeiliche Aufgaben meist Ländersache sind und die Verfolgung der Diebe im grenzüberschreitenden Verkehr komplex ist. Ladungsdiebstähle seien kein rein nationales Problem, heißt es im Bundesverkehrsministerium.