© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Digitale Wüste Deutschland
Infrastruktur: Teure 5G-Versprechungen und die drohende 3G-Abschaltung
Björn Beiersdorf

Daß der estnische Premier Andrus Ansip seit 2014 EU-Digitalkommissar ist, hat – im Gegensatz zu anderen Brüsseler Postenschiebereien – einen Sachbezug: In seiner baltischen Heimat ist der Internetzugang ein Grundrecht. Und mit einer Netzabdeckung von knapp 85 Prozent im schnellen Funkstandard (4G/LTE) liegt Estland ebenfalls vorn. EU-Spitzenreiter sind mit knapp 90 Prozent die Niederlande und Ungarn. Deutschland ist hingegen im EU-Vergleich mit 65,5 Prozent Vorletzter. Nur in Irland (etwa 57 Prozent) ist die Netzabdeckung noch schlechter. Das geht aus dem „Mobilfunk Report 2019“ von Speedcheck (Etrality GmbH) hervor.

„Für die größte Wirtschaftsmacht Europas ein Zustand, der nicht den Selbst­ansprüchen der Bundesregierung und deutschen Internetanbietern genügen sollte“, heißt es in der Studie, die sich auf Messungen aus 7.383.868 Haushalten beruft. Auch bei der durchschnittlichen Internetgeschwindigkeit liegt Deutschland derzeit mit 14 Mbit/s unter dem EU-Schnitt von 19,4 Mbit/s. Führend sind hier die Beneluxländer, Skandinavien, Österreich, Ungarn, die Tschechei und Bulgarien. Eine Erklärung hierfür ist: In Deutschland lebt ein Großteil der Bevölkerung in mittelgroßen und kleinen Städten außerhalb der Ballungszentren. „Diese gleichmäßigere Verteilung macht wesentlich größere Mengen an Glasfaser und Sendemasten notwendig, um die ganze Bevölkerung zu erreichen. Die Rentabilität für die Internetanbieter fällt dabei außerhalb der Ballungszentren zwangsläufig niedriger aus, was Investitionen unattraktiver macht“, so Speedcheck. Allerdings: Auch Frankreich und Spanien stünden „vor ähnlichen Herausforderungen und erreichen trotzdem deutlich bessere Ergebnisse als Deutschland“.

„Die wahren Vorreiter sitzen in Südkorea und Japan“

Als wäre das nicht genug: Dem deutschen 3G/UMTS-Netz droht das Aus. Die bisherigen 3G-Funkfrequenzen sollen für 4G und den neuen Mobilfunkstandard 5G freigemacht werden – doch das hätte drastische Folgen: Nur 47 Prozent der Mobilfunknutzer in Deutschland besitzen laut Bundesnetzagentur 4G-fähige SIM-Karten. Die anderen nutzen noch das oft billigere und weiter verbreitete 3G-Netz, und sie stünden nach einer Abschaltung gänzlich ohne mobiles Internet da. Auch viele Telefone oder Empfangsgeräte in Autos aus der Zeit von vor 2015 sind auf 3G angewiesen. Ob das 3G-Aus nun 2020 oder erst 2021 kommt, verrieten die Sprecher von Telekom, Vodafone und Telefónica aber bislang nicht. Immerhin: Das alte 2G-Netz – es ermöglicht herkömmliche Sprachtelefonie und den SMS-Versand – soll vorerst erhalten bleiben.

Die IT-Konzerne sowie die Bundes- und Landespolitik setzten indes für ihre Versprechungen auf 5G (JF 11/19). Doch das wird – von gesundheitlichen und Sicherheitsrisiken einmal abgesehen (JF 19/19) – sehr teuer, und es dauert wohl länger. Der Bund freut sich zwar über die 6,55 Milliarden Euro aus der Versteigerung für die 5G-Mobilfunkfrequenzen, aber: „Im internationalen Vergleich werden den Mobilfunkanbietern in Deutschland somit vergleichsweise hohe Ausgaben abverlangt, die in Konkurrenz mit Infrastrukturinvestitionen stehen. So versteigerte Frankreich 5G-Frequenzen im Gegenzug für verbindliche Investitionsverpflichtungen, während Norwegen selbige mit Gebotssummen gegenrechnete“, heißt es in der Studie. In den USA sei bis jetzt nur eine Versteigerungssumme von 2,7 Milliarden Dollar zustande gekommen. „Die wahren Vorreiter sitzen mit Südkorea und Japan in Ostasien, während der Ausbau in Deutschland auch im Vergleich mit Nordamerika, Skandinavien und Großbritannien hinterherhinkt, wo die Anbieter schon 2019 oder 2020 mit ersten 5G-Angeboten aufwarten.“

Und neben den 5G-Netzausbaukosten, die letztlich von den Mobilfunkkunden zu bezahlen sind, kommt noch ein weiterer Kostenfaktor hinzu: Wer vom 3G- oder 4G-Netz ins 5G-Netz wechseln will, benötigt ein neues Gerät. Selbst über 1.000 Euro teure Spitzengeräte sind 5G-untauglich. Auch das neue iPhone 11, das im Herbst auf den Markt kommt, hat noch keinen 5G-Empfang.

Mobilfunk Report 2019: Deutschland, EU, USA:  www.speedcheck.org/