© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Kennenlernen, zuhören, diskutieren
Schwarmintelligenz: Konservative und Liberale tauschen bei einem Netzwerktreffen Ideen aus
Ronald Berthold

Der Saal war rappelvoll. Im Publikum herrschte eine heitere bis neugierige Stimmung. Und tatsächlich war es eine bemerkenswerte Veranstaltung, die der Medienunternehmer Klaus Kelle vergangenen Sonnabend in einem zum Hotel umgebauten Stadtbad in Berlin-Prenzlauer Berg auf die Beine stellte. Viele, die im bürgerlich-konservativen Lager Rang und Namen haben, darunter der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch und Berlins ehemaliger Innensenator Frank Henkel, gaben sich bei der „Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ (JF 34/19) ein Stelldichein. Dem 60jährigen Kelle gelang es auch, mit den rund 350 Gästen Menschen aus dem Umfeld von FDP, Union und AfD zusammenzubringen. Gegenseitige Berührungsängste: keine. Und dann hatten die Referenten auch noch Neuigkeiten parat.

So äußerte sich Hubertus Knabe erstmals öffentlich zu seiner Entlassung als Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und zur Rolle, die dabei Kulturstaatssekretärin Monika Grütters (CDU) spielte: „Das war eine große Schweinerei, die ohne Frau Grütters nicht möglich gewesen wäre!“ Und von der ehemaligen Familienministerin und inzwischen dreifachen Mutter Kristina Schröder (CDU) erfuhr das Publikum, daß sie keine Rückkehr in die Politik plane.

Knabe: DDR-Unrecht wurde nicht aufgearbeitet

Begonnen hatte der Tag mit einer Rede des Unternehmers Peter Weber, der mit seinen gesellschaftskritischen Videos auf Youtube eine zum Teil sechs Millionen starke Followergemeinde hinter sich versammelt. Jetzt will der 66jährige, der sich mit Bezug auf den linken Youtuber scherzhaft als „Rezo 60+“ vorstellte, eine Bürgerbewegung ins Leben rufen, die bis 2020 eine Million Mitglieder haben und gesellschaftlichen Druck für eine Politikwende ausüben solle. Sie werde sich rechts der Union und links der AfD positionieren.

Einen der Höhepunkte bildete die im nachdenklichen Ton vorgetragene Rede Hubertus Knabes zur ausgebliebenen Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Mit Blick auf SED-Diktatur und Gegenwart sagte der Historiker, der letztlich mit Ovationen verabschiedet wurde: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber ich habe den Eindruck, vieles schon einmal erlebt zu haben.“

Zur Verstrickung Angela Merkels mit dem SED-Regime betonte er: „Nach allen mir vorliegenden Unterlagen hat sie nicht als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gearbeitet.“ Aber ebenso sei sie nach allen Akten und Zeugenaussagen FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an einem Fachbereich der Akademie der Wissenschaften gewesen. Anders als Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau (Linke), die im Zentralrat der DDR-Staatsjugend saß, schätze er Merkel als „Mitläuferin“ ein.

Vor Jahren habe er, so erzählte Knabe, dem damaligen CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe vorgeschlagen, die Kanzlerin solle dies transparent machen und damit bei der Aufarbeitung vorangehen. Merkel hätte die Chance gehabt aufzuklären, wie man eine solche Funktion erlangt und was man daraus gelernt habe: „Aber dazu ist es nicht gekommen.“

Die Jubiläumsfeierlichkeiten zu 30 Jahren Mauerfall sind aus Knabes Sicht für die Bundesregierung eine reine „Pflichtübung“. Erst im April habe diese eine Kommission eingesetzt: „Vorsitzender ist Matthias Platzeck, der bei der Abstimmung über den Einigungsvertrag in der Volkskammer feige den Saal verließ.“ Knabe prangerte auch an, die Nähe westdeutscher Protagonisten zur DDR sei „nie aufgearbeitet worden“. Weder Wissenschaftler noch Politiker, noch Gewerkschaftsbosse wollten nach 1989 an diese „peinliche Anbiederei“ erinnert werden. Er vermisse auch eine selbstkritische Auseinandersetzung der CSU zum Milliarden-Kredit, den deren damaliger Vorsitzender Franz Josef Strauß an die DDR eingefädelt hatte.

Die 68er kehrten ihre Verherrlichung sozialistischer Gewaltherrschaften gern unter den Teppich. Knabe: „Damit machen sie genau das, was sie ihren Vätern mit Bezug auf das Dritte Reich immer vorgeworfen haben.“ Seine Bilanz zur Verklärung der zweiten deutschen Diktatur ist erschreckend: „Es fehlt nicht mehr viel, und es hat die kommunistische Diktatur nie gegeben.“

Kristina Schröder kritisiert ihre eigene Partei

Zuvor hatte Klaus Kelle, der seine Begrüßung mit den Worten „Holen wir uns unser Land zurück“ beendet hatte, in einem Doppelinterview die Chefredakteure der Medienpartner Tagespost und JUNGE FREIHEIT vorgestellt. Auf die Frage, ob Kardinal Reinhard Marx mal bei der katholischen Tagespost anrufe und seinen Kommentar lobe, sagte Oliver Maksan: „Das ist noch nie vorgekommen. Und das ist wahrscheinlich auch nicht schlecht.“ Applaus erhielt auch JF-Chefredakteur Dieter Stein für seine Analyse, daß es eine „Katastrophe“ sei, daß die im Bund und vielen Ländern arithmetischen bürgerlichen Mehrheiten „nicht zum Tragen kommen“.

Kristina Schröder vertrat die These, die freie Entscheidung führe dazu, daß Männer und Frauen mehrheitlich in unterschiedlichen Berufen arbeiteten. Denn nachdem die Verteilung in den damals noch unfreien Ostblock-Staaten paritätisch gewesen sei, habe sich das nach der Wende verändert. Die Ex-Ministerin beklagte: „Unterschiedlichkeit wird immer als Ungerechtigkeit verkauft. Niemals wird aber gefragt, ob sie vielleicht auf unterschiedliche Präferenzen von Männern und Frauen zurückzuführen ist.“

Anwalt Steinhöfel führt Verfahren gegen Facebook

Die Wirkmächtigkeit der Linken in der Geschlechter- und Familienpolitik liege, so Schröder, auch daran, daß sie mit der Wirtschaft einen unverdächtigen Partner an ihrer Seite habe. Die Verbände wollten nicht, daß Frauen zu Hause blieben, um sich um die Kindererziehung zu kümmern, denn die Unternehmen bräuchten sie als Arbeitskräfte. Den meisten Applaus bekam Schröder, als sie ihre eigene Partei kritisierte: „Ich vermisse in der CDU gesellschaftliche Debatten, die sich auf Werte beziehen.“ Ausgangspunkt müsse dabei die Freiheit, nicht die Gleichheit sein.

Erneut zum Kochen brachte Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel den Saal. Im humorvollen Plauderton berichtete er über seine Verfahren gegen Facebook wegen ungerechtfertigter Sperrungen von Nutzern und die Hintergründe zur Entstehung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Sieben von zehn Sachverständigen, von denen er einer war, hätten dem Rechtsausschuß des Bundestages seinerzeit dargelegt, daß das Gesetz rechtswidrig sei, weil es die Meinungsfreiheit einschränke: „Ich habe es nicht für möglich gehalten, daß sich die Bundesregierung über diese Bedenken hinwegsetzt“, sagte der Jurist. „Der Unwille“, sich seine Argumente anzuhören, „war vor allem bei der CDU deutlich erkennbar“. Bei angedrohten Strafen von 50 Millionen Euro sei es nicht schwer zu erraten, wie schnell Facebook-Mitarbeiter die Löschtaste bei politisch mißliebigen Beiträgen drückten.

Auch Steinhöfel konnte dem Publikum von einer Neuigkeit berichten: Er werde juristisch gegen die von „Faktenprüfern“ wie Correctiv angehängten Warnhinweise unter manchen Facebook-Posts vorgehen. Da dieser diskriminierende Link auch beim Teilen des entsprechenden Beitrages versendet werde, nutzten die Faktenprüfer die Reichweite des ursprünglichen Beitrages „schmarotzerisch“ aus. Außerdem werde auch dadurch die Freiheit der Meinungsbildung eingeengt.

Nach weiteren Beiträgen, unter anderem von Hedwig von Beverfoerde, Sprecherin des Aktionsbündnisses für Ehe und Familie „Demo für alle“, und Werte-Union-Chef Alexander Mitsch, sowie dem faktenreichen Vortag des Volkswirtschaftlers Markus Krall zum seiner Prognose nach gegen Ende 2020 beginnenden und sich über eine deflatorische und schließlich hyperinflatorische Phase fortsetzenden Finanzcrash, kam rund die Hälfte der Gäste zu einem Drei-Gänge-Dinner zusammen. Dabei hielt die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld eine immer wieder von Applaus unterbrochene „Deutschland-Rede“. Klaus Kelle interviewte zudem den Publizisten Matthias Matussek zu dessen Hausheiligen Gilbert K. Chesterton.

Das nächste Treffen der „wahren Schwarmintelligenz“ soll im Sommer 2020 in Erfurt stattfinden.

Die Vorträge von Hubertus Knabe („40 Jahre Sozialismus – Eine vergessene Lektion“) und Kristina Schröder („Alles Quote, Gender, Kita? Für eine bürgerliche Familienpolitik“) sind auf Youtube verfügbar.

Klaus Kelle betreibt einen Blog unter:  https://denken-erwuenscht.com/