© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Nach Ost-Berlin entführt
Gehaßt und verfolgt von den Kommunisten: Karl Wilhelm Fricke zum 90. Geburtstag
Jörg Bernhard Bilke

Es gab immer zwei Möglichkeiten, auf politische Verfolgung im SED-Staat zu reagieren. Die eine Gruppe von Häftlingen strich die verlorene Zeit aus ihrem Leben und knüpfte dort wieder an, wo dieses Leben durch die Verhaftung unterbrochen worden war; die andere Gruppe verarbeitete das Erlebte produktiv und klärte die Westdeutschen über einen Staat auf, in dem es bis zum Mauerfall 1989 nie freie Wahlen gegeben hatte. Zur zweiten Gruppe gehörte der Kölner Journalist Karl Wilhelm Fricke, der nach seiner Entlassung 1959 aus der Sonderhaftanstalt Bautzen einer der führenden DDR-Forscher wurde. Am 3. September feiert er seinen 90. Geburtstag.

Prägend für sein Journalistenleben wurde das, was seinem Vater Karl Oskar Fricke 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone widerfahren ist. Er wurde von den Russen verhaftet und 1950 bei den berüchtigten „Waldheimer Prozessen“ zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, zwei Jahre später starb er im Zuchthaus Waldheim. Sein Sohn, geboren in Hoym, einer im Harzvorland gelegenen Kleinstadt, wurde am 22. Februar 1949 wegen einer SED-kritischen Bemerkung selbst verhaftet, konnte aber, wegen einer Unachtsamkeit der „Volkspolizei“, während der Verhörs fliehen und über die innerdeutsche Grenze entkommen.

Er wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt

Mit einem Stipendium studierte der DDR-Flüchtling bis 1953 an der „Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft“ in Wilhelmshaven, weit weg von der innerdeutschen Grenze. Dann freilich zog es ihn nach WestBerlin an die 1948 gegründete „Freie Universität“, an der auch zahlreiche DDR-Studenten aus Ost-Berlin und dem Berliner Umland studierten.

Zugleich aber wimmelte es in der „Frontstadt“ West-Berlin von DDR-Agenten, die im Auftrag des 1950 gegründeten Ministeriums für Staatssicherheit unterwegs waren. Das wurde Karl Wilhelm Fricke zum Verhängnis. Er war durch seine Beiträge in Presse und Rundfunk über die Verfolgung Oppositioneller im SED-Staat, besonders nach dem niedergeschlagenen Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, zu einem gefährlichen Gegner geworden, der ausgeschaltet werden mußte.

Am 1. April 1955 wurde er in Berlin-Schöneberg in die konspirative Wohnung des Stasi-Agenten Kurt Rittwagen gelockt, dort betäubt und nach Ost-Berlin entführt. Stunden später wachte er mit fürchterlichen Kopfschmerzen im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen auf. Der Haftbefehl war von Erich Mielke, damals noch stellvertretender Minister für Staatssicherheit, unterzeichnet worden.

Danach folgten 467 Tage ununterbrochener Verhöre. Karl Wilhelm Fricke, der aus West-Berlin verschleppte Student, verbrachte diese schreckliche Zeit in Dunkelhaft im Keller des Gefängnisses, das von den Gefangenen „U-Boot“ genannt wurde. Am 11. Juni 1956 schließlich wurde er vom Obersten Gericht der DDR in einem Geheimprozeß zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, die er zunächst in Brandenburg-Görden, später in Bautzen II verbrachte.

Hier in der sächsischen Stadt Bautzen/Oberlausitz gab es zwei Zuchthäuser, das eine, im Volksmund „Das gelbe Elend“ genannt, für gewöhnliche Gefangene wie den jungen Walter Kempowski (1929–2007), der später ein berühmter Schriftsteller werden sollte, und das andere für prominente Gefangene wie den DDR-Außenminister 1949/53 Georg Dertinger, den Widerstandskämpfer Heinz Brandt, der 1958 aus Ost-Berlin geflohen war und 1961 aus West-Berlin entführt wurde, den Philosophieprofessor Wolfgang Harich, den Verlagsleiter Walter Janka, den Redakteur Gustav Just, den Schriftsteller Erich Loest und den Dissidenten Rudolf Bahro.

Nach seiner Entlassung am 31. März 1959 ging Karl Wilhelm Fricke nach Hamburg, wo er, stark motiviert durch seine DDR-Erfahrungen, weiterhin über die DDR-Opposition schrieb, sein erstes Buch trug den Titel „Selbstbehauptung und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone“ (1964).

Als er 1970 Leiter der „Ost-West-Redaktion“ im Kölner „Deutschlandfunk“ wurde, war er finanziell abgesichert und veröffentlichte nun Buch um Buch. Eines hieß „Warten auf Gerechtigkeit“ (1971) über kommunistische Säuberungen, ein anderes „Politik und Justiz in der DDR“ (1979) über politische Verfolgung 1945/68, ein drittes „Opposition und Widerstand in der DDR“ (1984). Da er immer objektiv und sachlich-zurückhaltend berichtete und als akkreditierter Journalist auch an SED-Parteitagen teilnahm, hatte Erich Mielke kaum noch Möglichkeiten, ihm strafrechtliche „Verbrechen“ anzuheften.

Für seine Aufklärungsarbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, so 1996 mit der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin, 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz, 2010 mit dem Hohenschönhausenpreis. Der einstige Fluchthelfer Burkhart Veigel stiftete 2017 den mit 20.000 Euro dotierten „Karl-Wilhelm-Fricke-Preis“, dessen erster Preisträger der Namensgeber selbst war.