© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Metternichs böses Kind
Vor 200 Jahren leiteten die Karlsbader Beschlüsse die politische Unterdrückung der Freiheits- und Einheitsbewegung in Deutschland ein
Jan von Flocken

Österreichs Staatskanzler Klemens Wenzel Fürst von Metternich zeigte sich hochzufrieden. „Mein Karlsbader Kind ist böse, es schlägt und beißt. Es wird vielen schlechten Leuten und noch mehr Narren herbe Hiebe versetzen“, notierte er am 20. September 1819. Soeben hatte die Bundesversammlung in Frankfurt am Main die sogenannten Karlsbader Beschlüsse gebilligt.

Anlaß für diesen frühen Radikalenerlaß bildete die Ermordung des reaktionären deutschen Literaten August von Kotzebue am 23. März 1819 durch den Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, der dem radikaldemokratischen Flügel der Burschenschaften angehörte. Kotzebue, der auch pro forma den Rang eines russischen Staatsrates bekleidete, wurde als Agent des Zaren verdächtigt und hatte sich durch mehrere Spottschriften über die deutsche Einheit und die burschenschaftlichen Ideale hervorgetan. Das tödliche Attentat von Mannheim diente freilich nur als Vorwand für Unterdrückungsmaßnahmen. Zynisch schrieb Metternich von „einem Beispiele, wie der vortreffliche Sand mir auf Unkosten des armen Kotzebue lieferte“.

Verfolgung unliebsamer Regimekritiker im Blick

Die herrschenden Kreise waren schon im Oktober 1817 durch das Wartburgfest aufgeschreckt worden. Dort hatten etwa 500 Studenten und Professoren eine Protestkundgebung gegen reaktionäre Politik und Kleinstaaterei sowie für einen Nationalstaat mit liberaler Verfassung abgehalten. Träger der neuen Ideen waren insbesondere Universitäten, Burschenschaften und Turnerbünde.

Anderthalb Jahre später hielt es Metternich für den gebotenen Zeitpunkt, einen Kongreß in die zur Habsburger monarchie gehörende westböhmische Stadt Karlsbad (tschechisch Karlovy Vary) zu berufen. Hier tagten vom 6. bis 31. August 1819 die diplomatischen Vertreter der wichtigsten Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes: Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Baden, Hannover, die beiden Mecklenburg, Württemberg und Nassau. Das Treffen war streng geheim, weswegen Metternich den ruhig gelegenen Kurort als Treffpunkt gewählt hatte. Nach 23 Konferenztagen wurden mehrere Beschlüsse gefaßt, die sich allesamt in den Dienst der Verfolgung unliebsamer Regimekritiker stellten.

Insbesondere die deutschen Hochschulen sollten einer rigiden Kontrolle unterworfen werden. Durch ein „Universitätsgesetz“ wurden Aufpasser eingesetzt. Es würde künftig ein „mit zweckmäßigen Instruktionen und ausgedehnten Befugnissen versehener, am Orte der Universität residierender, außerordentlicher landesherrlicher Bevollmächtigter“ amtieren, der die Rolle des Gesinnungsschnüfflers erfüllte. „Das Amt dieses Bevollmächtigten soll sein, über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Disziplinar-Vorschriften zu wachen, den Geist, in welchem die akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privatvorträgen verfahren, sorgfältig zu beobachten“, heißt es im ersten Paragraphen. Die Studenten sollten bei abweichenden Meinungen vom weiteren Studium grundsätzlich ausgeschlossen werden. „Es soll auch überhaupt kein Studierender ohne ein befriedigendes Zeugnis seines Wohlverhaltens auf der von ihm verlassenen Universität von irgend einer andern Universität aufgenommen werden.“

Das ebenfalls am 20. September verabschiedete Bundes-Pressegesetz schrieb die Vorzensur und einschneidende Maßnahmen zur Beschränkung der Meinungsfreiheit vor. Alle Regierungen gaben die feierliche Verpflichtung ab, „bei der Aufsicht über die in ihren Ländern erscheinenden Zeitungen, Zeit- und Flugschriften mit wachsamem Ernst zu verfahren, und diese Aufsicht dergestalt handhaben zu lassen, daß dadurch gegenseitigen Klagen und unangenehmen Erörterungen auf jede Weise möglichst vorgebeugt werde“. Gleichzeitig wurden gegen unbotmäßige Journalisten Berufsverbote verhängt. So bestimmte der Paragraph 7: „Wenn eine Zeitung oder Zeitschrift durch einen Ausspruch der Bundesversammlung unterdrückt worden ist, so darf der Redakteur derselben binnen fünf Jahren in keinem Bundesstaate bei der Redaktion einer ähnlichen Schrift zugelassen werden.“

Politische Friedhofsruhe in der Biedermeierzeit

Durch das „Bundes-Untersuchungsgesetz“ installierte man eine „Zentrale Untersuchungskommission“ mit Sitz in Mainz. Der Artikel 2 erklärte: „Zweck dieser Kommission ist gemeinschaftliche, möglichst gründliche und umfassende Untersuchung und Feststellung des Tatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen.“ Durch ein Sondergesetz wurden Burschenschaften und Turnvereine verboten. Ausdrücklich wurde die Kommission ermächtigt, „alle erforderlichen Untersuchungen mit möglichster Genauigkeit und Beschleunigung vorzunehmen oder fortzusetzen, und mit Verhaftung der inculpierten (beschuldigten) Personen vorzuschreiten“.

Die sogenannten Karlsbader Beschlüsse griffen erheblich in die Rechte der deutschen Bundesstaaten und ihrer Gerichtsbarkeit ein. Viele Bürger, die für eine liberale Politik und die Einheit des Vaterlandes einstanden, wurden verfolgt, verloren ihren Beruf und mußten zum Teil sogar ins Ausland fliehen. Es brach eine Zeit der Stagnation an, die häufig als „Biedermeier“ bezeichnet wurde. Herr Meier wurde brav und still, Politik spielte zumindest nach außen keine Rolle mehr, die herrschende Klasse konnte zufrieden sein. Der demokratische Schriftsteller Ludwig Pfau schrieb weiland:

„Schau, dort spaziert Herr Biedermeier

Und seine Frau, den Sohn am Arm;

Sein Tritt ist sachte wie auf Eier,

Sein Wahlspruch: weder kalt 

noch warm.“

Doch die erzwungene Friedhofsruhe währte nicht ewig. Auf dem Hambacher Fest beschwor im Mai 1832 der Publizist Jacob Siebenpfeiffer vor 30.000 Teilnehmern die Zukunft eines geeinten Deutschlands: „Es wird kommen der Tag des edelsten Siegstolzes, wo der Deutsche den Bruder im Bruder umarmt, wo die Zollschranken und alle Schlagbäume, wo alle Hoheitszeichen der Trennung und Hemmung und Bedrückung verschwinden.“ Die Rechnung für seinen reaktionären Coup wurde Metternich dann von der Revolution 1848/49 nachdrücklich präsentiert. Am 2. April 1848 hob ddie Bundesversammlung sämtliche Karlsbader Beschlüsse auf.