© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 36/19 / 30. August 2019

Frisch gepresst

SS nach 1945. Seine Pistole lag stets griffbereit in der Schublade, wenn Heinz Reinefarth, in den 1960ern CDU-Bürgermeister in Westerland auf Sylt, an seinem Schreibtisch saß. Weil er, so die Fama, nicht das Schicksal Adolf Eichmanns erleiden wollte, den der Mossad im Mai 1960 aus Bue-nos Aires nach Israel entführt hatte. Folgt man hingegen der Ansicht von Jan Erik Schulte (Bochum) und Michael Wildt, den Herausgebern eines Sammelbandes über „Die SS nach 1945“, war die Vorsicht des ehemaligen SS-Gruppenführers Reinefarth, dessen Truppen im August 1944 die Warschauer Altstadt eroberten, jedoch völlig unnötig gewesen. Denn abgesehen von Eichmann und anderen Verantwortlichen für den Völkermord an den Juden, die der „Schulddelegation an die SS“ dienten, sei die Masse einstiger SS-Mitglieder „bereitwillig“ in die Nachkriegsgesellschaft integriert worden. Wie sich diese „Normalisierung“ hunderttausendfach vollzog, diesem vielgestaltigen Prozeß widmen sich die 20 Studien dieses Bandes. Das Spektrum reicht von der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“, mit der SS-Veteranen auch geschichtspolitisch agierten, über „personelle Kontinuitäten“ im Bundeskriminalamt, über „populäre Mythen“ zur europäischen Dimension der SS, die Medien in den 1970ern verbreiteten. Der Bogen schließt mit dem SS-Schützen Günter Grass, dessen gesamtes Werk als therapeutisches Ringen mit seiner „Schuld- und Schamverstrickung“ gedeutet wird. (ob)

Jan Erik Schulte, Michael Wildt (Hrsg.): Die SS nach 1945. Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, gebunden, 451 Seiten, 45 Euro





Indische Legion. Die Losung „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ galt während des Zweiten Weltkriegs aus deutscher Sicht für Subhash Chandra Bose, den Führer des Indischen Nationalkongresses, der die Unabhängigkeit des Subkontinents von Großbritanninen anstrengte. Umgekehrt galt das gleiche, weshalb für Chandra Bose 3.000 Inder auf seiten der Wehrmacht kämpften, vor allem ab 1944 in Südfrankreich und Italien. Der 1924 geborene und im April 2019 verstorbene Rudolf Hartog war als Dolmetscher bei dieser Truppe tätig und publizierte 1991 die Geschichte der Indischen Legion. Das lange Zeit vergriffene Buch liegt jetzt in zweiter Auflage wieder vor. (bä)

Rudolf Hartog: Im Zeichen des Tigers. Die indische Legion auf deutscher Seite 1941–1945. Helios Verlag, Aachen 2019, gebunden, 232 Seiten, Abbildungen, 22,50 Euro