© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Wenigstens der Adler bleibt rot
Landtagswahl Brandenburg: AfD wird zweitstärkste Kraft / Dreierbündnis notwendig / Fünf Sitze für die Freien Wähler
Christian Vollradt

Die „Bismarckhöhe“ in Werder an der Havel, unweit von Brandenburgs Hauptstadt Potsdam, bezeichnet sich als „glanzvollsten Ballsaal der Region“; und in der Tat verströmt der Prachtbau noch gründerzeitlichen Glanz. Jüngst trat hier Howard Carpendale beim Baumblütenball auf, doch am Wahlsonntag Punkt 18 Uhr jubelt das Publikum einem anderen zu: „AfD, AfD!“-Sprechchöre schallen Spitzenkandidat Andreas Kalbitz entgegen, als die ersten Prognosen auf der Leinwand erscheinen. Seine Partei ist die zweitstärkste Kraft, zieht mit 23 Abgeordneten in den Landtag, in dem sie – nach Abgängen – zuvor mit acht Mandatsträgern vertreten war.

Der „Hochfrequenzwahlkampf“, den man angesichts „pauschaler Blockaden“ durch den politischen Gegner führen mußte, habe sich ausgezahlt, so Kalbitz. Der „Kampf ist nicht vorbei, er geht erst richtig los“, ruft der Spitzenkandidat seinen Anhängern zu. Am Montag wird er etwas ruhiger formulieren: er freue sich auf gute parlamentarische Sacharbeit. „Der Weg in die Verantwortung führt über die harte Oppositionsbank“, ist Kalbitz überzeugt.

Bei der Wahlparty stand auch nicht allen AfD-Mitgliedern der Sinn nach ausgelassenem Feiern. Mancher schaute gebannt auf die Auszählungen der Erststimmen. Den Ehrgeiz, direkt ins Potsdamer Schloß gewählt zu werden, hatten viele. Für 15 ging der Wunsch nach einem Direktmandat in Erfüllung. Auch für Dennis Hohloch endete die Zitterpartie am späten Abend glücklich: Als letzter der insgesamt acht Kandidaten schaffte der 30jährige Lehrer den Einzug über die AfD-Landesliste. 

Die blauen Hochburgen liegen vor allem im (südlichen) Osten Brandenburgs, dort gewann die AfD die meisten Wahlkreise; wo die Braunkohlereviere der Strukturwandel und Kohleausstieg trifft. Im südbrandenburgischen Örtchen Hirschfeld (Landkreis Elbe-Elster) holte die AfD ihr bestes Zweitstimmenergebnis des Wahlsonntags: 50,6 Prozent. Am schlechtesten schnitt sie im Berliner Speckgürtel ab. In Kleinmachnow blieb sie mit 9,2 Prozent einstellig, im Wahlkreis Potsdam 1 holten die Grünen ihr einziges Direktmandat.

„Das wichtigste Thema, das den Bürgern auf den Nägeln brennt, ist die Entwicklung der ländlichen Räume“, meint der neue AfD-Abgeordnete Daniel von Lützow im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. „Wir haben zu viele Dörfer ohne Kita, ohne Schule. Wenn junge Menschen bei uns keine Zukunft für sich sehen, ziehen sie weg. Das ist der selbstverschuldete demographische Wandel.“ Gegen die These von der Partei der „wütenden alten Männer“ punktet die AfD viel mehr bei deutlich jüngeren Wählergruppen. Platz eins belegt sie jeweils bei den 25- bis 34jährigen (30 Prozent), den 35- bis 44jährigen (30 Prozent) und den 45- bis 59jährigen (27 Prozent). Neben Selbständigen wählten vor allem Arbeiter die AfD (44 Prozent). Sie löst damit die SPD ab, die in Brandenburg nur noch bei der (Berufs-)Gruppe der Rentner vorne liegt.

Bitteres Ergebnis für CDU und Linkspartei

Den Zweikampf um Platz eins haben die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Dietmar Woidke zwar gewonnen, seine rot-rote Landesregierung indes haben dieWähler abgestraft. Ihr fehlen zehn Sitze zur Mehrheit. Wie ein strahlender Sieger sieht der Landesvater nicht aus. Zum Weiterregieren braucht er künftig zwei Koalitionspartner. Möglich wären eine rot-rot-grüne oder eine Kenia-Koalition, also mit CDU und Grünen. Letztere blieben mit 10,8 Prozent hinter den Erwartungen zurück, wohl auch, weil manche ihrer Anhänger das Kreuz bei der SPD machten, um sie vor die AfD zu hieven. 

Bitter war der Wahlabend für die CDU, die auf 15,6 Prozent abrutschte. Dennoch könnte der Partei von Ingo Senftleben, der sich im Wahlkampf sogar grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit der Linkspartei bereit gezeigt und nur eine Kooperation mit der AfD strikt ausgeschlossen hatte, eine Schlüsselrolle zukommen. Ministerpräsident Woidke will als erstes mit den Christdemokraten sondieren, auch um über sie an die Grünen zu kommen. Ungewiß, welche Rolle die Wahlverlierer von der mit 10,7 Prozent abgestraften Linkspartei spielen werden, Opposition oder kleinster Regierungspartner … Keine Rolle spielt künftig weiterhin die FDP. Sie scheiterte in der Heimat von Generalsekretärin Linda Teuteberg deutlich an der Fünfprozenthürde.

Die Freien Wähler dagegen landeten einen Überraschungserfolg (fünf Prozent), Spit­zen­kan­di­dat Péter Vi­da holte zudem in Barnim ein Direktmandat. Die fünf Abgeordneten könnten sogar Koalitionspartner werden. Sicher ist der AfD unterdessen bereits ein – kurzlebiges – Amt. Wenn der neue Landtag Ende des Monats zusammentritt, übernimmt die AfD-Abgeordnete Marianne Spring-Räumschüssel den Vorsitz als Alterspräsidentin.