© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Ländersache: Saarland
Vertuschte Verbrechen
Christian Schreiber

An einem ist das kleinste Flächenland der Republik reich: an Skandalen. Deswegen sind parlamentarische Untersuchungsausschüsse nichts Ungewöhnliches, sie sind – nicht nur an der Saar – ein gängiges Instrument der Opposition, um Versäumnisse der Regierung aufzuarbeiten. Ungewöhnlich am aktuellen Ausschuß ist nur, daß vergangene Woche alle vier im Saarbrücker Landtag vertretenen Parteien seiner Einsetzung zustimmten. 

Es geht darin um einen Mißbrauchsskandal, der sich vor Jahren an der Universitätsklinik in der Kreisstadt Homburg zutrug. Der Arzt Matthias S. mißbrauchte dort jahrelang ihm anvertraute Kinder. Obwohl viele von seinen pädophilen Neigungen wußten, ließ man ihn gewähren. Auch die  damalige Staatssekretärin und heutige Präsidentin des Landesfinanzgerichts, Anke Morsch (SPD), schaltete sich nicht ein. Ende Juni war bekanntgeworden, daß der mittlerweile verstorbene Assistenzarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie von 2010 bis 2014 mehrere Kinder sexuell mißbraucht haben soll. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, daß er medizinisch überflüssige Untersuchungen vorgenommen und Akten gefälscht habe. Zudem habe er Patienten in einen Sportverein mitgenommen und mit ihnen Kontakt über Soziale Netzwerke gepflegt. 

Mehrere Kollegen hatten bereits früh Hinweise auf die pädophilen Neigungen von S. Unter anderem sei ihnen bei Besuchen im Hause des Mediziners ein Kinderzimmer mit Matratzenlager aufgefallen. Die Klinikleitung wußte wohl seit dem Jahr 2011 von den pädophilen Neigungen des Mediziners. In einem anonymen Schreiben stand: „Es besteht der dringende Verdacht, daß der Assistenzarzt in der Kinderpsychiatrie des Klinikums Homburg eine pädophile Veranlagung hat.“ Unternommen hatte der Chef erst einmal nichts. Er empfahl, die Eltern der Betroffenen nicht zu informieren, um eine Viktimisierung zu vermeiden. Dem waren sowohl die Klinikleitung als auch die Staatsanwaltschaft gefolgt. Die war mittlerweile informiert, weil sich die Verdachtsmomente erhärtet hatten. Die Uniklinik zog schließlich die Reißleine und kündigte S. Der fand schnell eine neue Stelle in Kaiserslautern. Noch während die Ermittlungen liefen, starb der junge Arzt im Alter von 36 Jahren Anfang Juni 2016 an einem Herzinfarkt. 

Für die Staatsanwalt war der Fall erledigt. Daß die Sache doch noch ans Licht kam, ist einem Zufall zu verdanken. Eine Mutter erstattete im Frühjahr 2019 in einer Saarbrücker Polizeiwache Anzeige aufgrund eines Diebstahl, dem ihr Sohn zum Opfer gefallen ist. Der Beamte fällt aus allen Wolken. Das Kind wurde in der Polizeidatei als Opfer eines sexuellen Mißbrauchs an der Uniklinik geführt. Die Mutter schaltete die Rechtsanwältin Claudia Willger ein, eine frühere Landtagsabgeordnete der Grünen. Die informierte die Öffentlichkeit. Das scheuchte die Landespolitik war auf. 

Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) kündigte „schonungslose Aufklärung“ an. Die ehemalige Staatssekretärin Morsch verteidigte sich. Sie sei davon ausgegangen, daß die betroffenen Eltern vom Klinikum informiert wurden, „das aus meiner Sicht dazu verpflichtet war“. Eine Information durch die Staatsanwaltschaft wäre „dagegen nicht zulässig gewesen“. Gegen die Klinikleitung läuft ein Disziplinarverfahren in einer Affäre, deren Aufklärung erst am Anfang steht.