© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Der Ortssegen hängt schief
Armutseinwanderer: Angelockt von Sozialleistungen und Leerstand ziehen Roma aus Südosteuropa in eine kleine Gemeinde in Ostwestfalen
Karsten Mark

Den Bad Meinbergern waren sie zunächst mehr als suspekt: die barfüßigen Asketen mit ihren hellen Gewändern und dem vergeistigten Gesichtsausdruck, die da durch ihren Kurpark wandelten. Besorgt fragte der Bürgermeister beim Sektenbeauftragten der Bundesregierung nach, mit wem man es da zu tun habe. Doch der gab Entwarnung. Die Yogis, die 2003 ins Lipperland gekommen waren, um das Gebäude einer geschlossenen Kurklinik als Meditationszentrum zu übernehmen, seien keine Sekte. Mittlerweile werden sie in ihrem 4.600 Einwohner zählenden Ortsteil sogar als außerordentlicher Glücksfall betrachtet. Denn die rund 300 Yogis bewahrten den Ort vor einer gigantischen Ruine. Insgesamt drei von ehemals sieben Kurkliniken, die mit den Gesundheitsreformen der neunziger Jahre in eine rasante Abwärtsspirale gerieten, haben sie in Europas größtes Yoga-Seminarhaus umfunktioniert.

Bad Meinberg hat den Strukturwandel also ganz gut hinbekommen. Der Ortskern mit kleinen Geschäften und Cafés wirkt intakt. Den Nachbarort Horn mit seinen etwa 7.000 Einwohnern, der 1970 gemeinsam mit einigen Dörfern zur Gemeinde Horn-Bad Meinberg vereinigt wurde, hat es da weitaus härter getroffen. Mitte 2001, unmittelbar vor dem 75. Firmenjubiläum, meldeten die Hornitex-Werke, einst einer der fünf größten Spanplattenhersteller in Europa, Insolvenz an. Mehr als die Hälfte der 2.700 Mitarbeiter mußte in den Jahren darauf gehen, Ende 2020 wird die Firma endgültig abgewickelt sein. „Seitdem steigt hier die Arbeitslosigkeit, es gibt immer mehr leerstehende Häuser in der Innenstadt, die dann zusehends verfallen“, berichtet Rolf B., der mit Frau und drei Kindern in der kleinen Gemeinde im Lippischen lebt, der JUNGEN FREIHEIT. Geld ausgeben für den Erhalt der mittelalterlichen Bausubstanz im Ortskern wollte die sozialdemokratisch dominierte Gemeinde dafür indes nicht. 

Besonders Sozialleistungen wirken anziehend

Investoren fand man auch nicht, statt dessen machten sich windige „Geschäftsleute“ den verrottenden Ortskern zur Beute: Ende 2016, Anfang 2017 tauchten mit einem Schlag Hunderte von Roma aus Rumänien und Bulgarien in Horn auf und bezogen die heruntergekommenen, mittlerweile für kleines Geld versteigerten Häuser. 360 sind aktuell in Horn gemeldet, etwa die Hälfte davon Kinder – völlig legal, denn als EU-Bürger genießen sie Freizügigkeit. Indes wachsen seither die Konflikte zwischen den Zugezogenen, den Alt-Hornern sowie den türkischen Migranten, die seit Generationen in Lippe leben. 

„Was ins Auge sticht und die angestammten Einwohner am meisten ärgert, ist eine zunehmende Verwahrlosung“, so Rolf B. „Da liegen dann zum Beispiel tagelang haufenweise gelbe Säcke herum. An denen kleben rote Aufkleber, denn sie sind nicht ordnungsgemäß nur mit leeren Verpackungen gefüllt. Irgendwann fliegt der Unrat durch die Gegend, dann läßt die Stadt die Säcke einsammeln und entsorgt sie.“ Nachdem es zu Auseinandersetzungen in der Innenstadt, etwa zwischen jungen Türken und Roma, kam, hat die Polizei eine mobile Wache bereitgestellt. Außerdem sei es schon vorgekommen, daß junge Roma-Frauen in ganz normale Kneipen gingen, um männliche Gäste dort anzusprechen und ihnen ihre Dienste als Prostituierte anzubieten, berichtet B. weiter.

„Das sind Dinge, die ich ansonsten in der Zeitung über Städte wie Duisburg und Dortmund gelesen habe“, sagte Stadtkämmerer Ingo Barz gegenüber dem Westfalenblatt. „Wir haben schon einen Hilferuf an den Ministerpräsidenten geschickt.“ Ein Gastronom aus der Innenstadt klagt gegenüber dem Lokalreporter, einem Kunden sei vor dem Laden das Fahrrad geklaut worden. „Einem weiteren Gast ist von ausländischen Kindern der Kuchen vom Teller gestohlen worden“, schildert er. Eine Kundin in einem Eiscafé berichtet: „Auf den Spielplätzen werden die Geräte blockiert – nicht von anderen Kindern, sondern von Erwachsenen. Ein Zusammenleben ist nicht mehr möglich“, sagt die Unternehmerin. 

Ein Anstieg der Kriminalität sei statistisch nicht festzustellen, versichert unterdessen die Polizei. Auch weil das Fehlverhalten der Zuwanderer oft nicht strafbar sei. Der Kreis Lippe und Horn-Bad Meinberg gehörten zu den sichersten Regionen in NRW, heißt es. Dennoch nehme man die „subjektiven Eindrücke“ der Bürger ernst. „Unsere objektiven Zahlen zeigen sicher nur einen Teil des Gesamtbildes“, räumte eine Sprecherin der Polizei ein.

Zu den Hintermännern des plötzlichen Massenzuzugs ist von offizieller Seite nichts Näheres zu erfahren. Einem Bericht der Bild-Zeitung zufolge sollen zwölf von 42 leerstehenden Innenstadthäusern bei einer Versteigerung von Geschäftsleuten „teils mit türkischem Migrationshintergrund“ ersteigert worden sein. Auch über die magische Anziehungskraft der deutschen Provinz auf die südosteuropäischen Armutsmigranten berichtet Bild: Eine siebenköpfige Roma-Familie streiche in Horn zusätzlich zur Miete 2.000 Euro im Monat an Sozialleistungen ein. In Bulgarien hingegen liegt der monatliche Durchschnittsverdienst bei 440 Euro.