© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Pekings fünfte Kolonne
Kanada: Die chinesische Diaspora läßt ihre Muskeln spielen / Regierung Trudeau im Zwiespalt
Jörg Sobolewski

Anrufe von Trickbetrügern sind in Kanada so bekannt wie hierzulande. Für vier Millionen Kanadier in der Provinz British Columbia bargen die unbekannten Anrufe, die vor einigen Monaten begannen, jedoch eine Überraschung: Die Anrufer sprachen ausschließlich Mandarin.

Flugs begann eine lebhafte Debatte auf verschiedenen Onlineportalen zur Identität des Anrufers, bis sich schließlich die Polizei zur Stellungnahme genötigt sah: Es handle sich um eine Betrugsmasche, die ausschließlich auf die chinesischstämmige Minderheit ziele.

Inlandsgeheimdienst warnt vor Einflußnahme

Eine harmlose Episode chinesischer Einwanderung, käme sie nicht mitten in einer Episode chinesisch-US-merikanischer Eskalation. Kanada, traditionell in Außen- und Verteidigungspolitik eng an die USA angelehnt, tut sich schwer mit der aufgeladenen Stimmung. Zum einen, weil Präsident Justin Trudeau so ziemlich in allem das Gegenteil der Twittterbombe Trump ist, zum anderen weil Kanada seit Jahrzehnten über eine große chinesischstämmige Minderheit verfügt. 

Nicht in allen Landesteilen, sondern vornehmlich in Toronto und British Columbia. Besonders in dem Naturparadies am Pazifik machen ethnische Chinesen über zehn Prozent der Bevölkerung aus – in der Hauptstadt Vancouver sogar knapp ein Fünftel der Einwohner. Chinesen sind mit Abstand die stärkste nichtweiße Gruppe in der Millionenstadt, seit Generationen prägt Vancouvers Chinatown seine Umgebung. 

Fleißig und bildungsbeflissen, zählen Chinesen mittlerweile zu den einkommensstärksten „Communities“ in British Columbia. Eine Tatsache, die in der offenen Einwanderungsgesellschaft der Region bisher nur vereinzelt auf Stirnrunzeln stieß. Bis am 1. Dezember 2018, auf amerikanischen Druck hin, die Finanzchefin des chinesischen Tech-Giganten Huawai in Vancouver verhaftet wurde – ein Erdbeben in den kanadisch-chinesischen Beziehungen war die Folge. 

Doch Peking beließ es nicht bei den üblichen Methoden des diplomatischen Protests und dem Festsetzen kanadischer Bürger in der Volksrepublik. Stattdessen beschloß China, die große chinesische Minderheit in Kanada dazu zu nutzen, für die eigenen Anliegen Stimmung zu machen. Zumindest behauptet das der kanadische Inlandsgeheimdienst in einem publik gewordenen Gutachten. 

Darin warnt der „Canadian Security and Intelligence Service“ (CSIS): „Chinesischstämmige Bürger anderer Länder zur Einflußnahme zu mobilisieren. Kultur- und Sprachvereine agieren dabei mehr oder weniger verdeckt direkt auf Order aus Peking hin.“ 

Eine fünfte Kolonne in einer der ökonomisch stärksten Regionen des dünnbesiedelten Riesenlandes? Die liberale Regierung unter Führung des Liberalen Justin Trudeau hielt sich nach Bekanntwerden des Reports bedeckt, zu wichtig sind finanzkräftige chinesische Geschäftsleute im Land und zu mächtig der chinesische Gigant am gegenüberliegenden Ufer des Pazifiks. Sehr zum Unwillen der Opposition, deren Sprachrohr, die nationalkonservative National Post, warf in einem Leitartikel dem Präsidenten sogar „Verrat“ vor. 

Tatsächlich sind bereits 2016 Großspenden chinesischer Geschäftsleute an politische Parteien in British Columbia Gegenstand einer öffentlichen Debatte gewesen. Standen die damaligen Vorfälle jedoch noch unter dem Verdacht einer halblegalen Korruptionsaffäre, handelt es sich nun um handfeste Auslandsspionage. Mit dem chinesischen Einfluß einher geht die Präsenz chinesischer „Pressuregroups“ in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. So verfügt nahezu jede Universität in British Columbia über einen Zusammenschluß chinesischer Studenten, die als Kaderorganisation straff geführt auf dem Campus präsent sind. 

Schlingerkurs zwischen Washington und Peking

Mitunter wird dabei sogar ganz offen chinesische Propaganda vertreten, so wie in Kamloops, wo unter den Augen der erstaunten Öffentlichkeit die Fahne Rotchinas mit militärischem Zeremoniell vor dem Universitätsgelände gehißt wurde. Genehmigt hatte diesen Akt die Universitätsverwaltung selber, man habe die „ethnische Vielfalt des Campus“ sichtbar machen wollen, ließ das Sekretariat auf Nachfragen mitteilen. Diese Vielfalt geht zumindest politisch häufig zu Lasten chinesischer Oppositioneller. Falun Gong und Auslandstibeter klagen über den zunehmenden Druck innerhalb der kanadischen Chinatowns. Denn die chinesische Bevölkerung Kanadas ist nicht so geschlossen, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. 

Tatsächlich stammen viele Kanada-Chinesen aus Taiwan oder Hongkong und bringen einen ganz eigenen Blick auf die aktuelle chinesische Regierungspolitik mit, was unter der ruhigen Oberfläche der chinesischen Wohnviertel zu Spannungen führt, die sich mitunter in gewalttätigen Demonstrationen entladen. So zuletzt im Nachgang einer Solidaritätsdemonstration für Hongkong, als Angehörige beider Lager Wasserflaschen und sonstige Gegenstände in die jeweils andere Demonstration warfen.

 Tatsächlich läßt sich der Riß, der durch die chinesischen Communities geht, gut anhand einer Statistik aufzeigen: War noch bis 2016 das besonders in Hongkong verbreitete Kantonesisch führend, sprechen nun mehr Menschen Mandarin, die Sprache der Volksrepublik. Ursächlich dafür ist auch die verstärkte Einwanderung wohlhabender Chinesen, denen die kanadische Regierung im Gegenzug für großzügige Investitionen unbeschränkte Aufenthaltsvisa gewährte. Auf der anderen Seite wirkt auch bei vielen jungen Chinesen aus Kanada die chinesische Propaganda. Alle Chinesen seien eine große Familie, Hongkong und Taiwan nichts als rebellische Kinder: „Egal wieviel Ärger du machst, China ist immer noch dein Papa“, ruft die rotchinesische Seite den Hongkongern in Vancouver zu.

Für Verstimmung sorgt der wachsende chinesische Einfluß auch beim großen Nachbarn im Süden. Das Hoover-Institut der renommierten US-Universität Stanford sprach in bezug auf Australien, Neuseeland und Kanada kürzlich von einer wachsenden Gefahr für die Integrität des „Five Eyes“-Systems“, dem großen Informationszusammenschluß der Geheimdienste fünf angelsächsischer Länder. Besonders in Neuseeland habe der chinesische Einfluß mittlerweile alle Lebensbereiche durchdrungen, als nächstes an der Reihe sei Kanada, so die Verfasser. 

Die Regierung Trudeau will davon offiziell bislang nichts wissen, zu groß ist die wirtschaftliche Abhängigkeit von Peking schon jetzt. Ein Außenhandelsdefizit von 36 Milliarden Kanadischen Dollar läßt wenig Spielraum für souveränes Handeln. Bis auf weiteres bleibt Toronto nur ein Schlingerkurs zwischen Washington und Peking.