© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Unverzichtbar, aber ein Faß ohne Boden
70 Jahre Bundesbahn: Die Scheinprivatisierung ließ vor allem die Vorstandsgehälter steigen
Christian Schreiber

Geht es um den Schienenverkehr, klingen selbst politische Gegenspieler fast austauschbar: „Die Infrastruktur muß dringend ausgebaut werden. Nur 60 Prozent des Netzes sind elektrifiziert, obwohl 90 Prozent der Güter darüber laufen und dieses an die Grenze seiner Belastbarkeit bringen. Die Fahrtzeiten zwischen den Metropolen sollten auf einen Zeitraum von rund drei Stunden verkürzt werden“, verlangt die AfD.

„Von der Vision, den Fern- und Nahverkehr auf der Schiene nahtlos zu verkoppeln und Abfahrtszeiten deutschlandweit so zu vertakten, daß alle Anschlüsse funktionieren, ist die Deutsche Bahn weit entfernt“, klagen die Grünen 25 Jahre nach der Bahnreform sei offensichtlich: „Weder wurde der Bundeshaushalt nachhaltig entlastet, noch hat die gewünschte Verkehrsverlagerung stattgefunden“ – und das können auch die Regierungsparteien nicht bestreiten.

Dabei hatten diverse Bundesregierungen 70 Jahre Zeit, die Staatseisenbahn aufs richtige Gleis zu bringen: Am 7. September 1949 wurde aus der Deutschen Reichsbahn der Westzonen die Deutsche Bundesbahn. Die Kriegsschäden wurden beseitigt, Loks und Wagen erneuert. Doch durch den zunehmenden Straßen- und Luftverkehr wurde die Bundesbahn zum Stiefkind – trotz Innovationen wie des TEE (1957, ab 1987: EC), IC (1971) oder ICE (1991).

Lufthansa-Chef verdient mehr als DB-Vorstand

1994 entstand dann aus Bundesbahn und maroder DDR-Reichsbahn die Deutsche Bahn AG in Bundesbesitz. Hauptveränderung war die Befreiung aus der „Fessel des öffentlichen Dienstrechts“ – sprich: Aus Generaldirektoren und DB-Präsidenten wurden Vorstände. So soll laut Tagesspiegel der DB-Vizevorstand und Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) 1,24 Millionen Euro erhalten haben – das Dreieinhalbfache seiner früheren Chefin. Die 1,8 Millionen Euro für Bahnchef Richard Lutz sind aber wenig im Vergleich zu Carsten Spohr, Chef des privatisierten Konkurrenten Lufthansa, der auf das Zweieinhalbfache kam – bei 35,8 Milliarden Euro Umsatz, 2,8 Milliarden Gewinn und 3,5 Milliarden Nettoverschuldung. Die DB kam auf 44 Milliarden Euro Umsatz und 2,1 Milliarden „Gewinn“ – bei 19,5 Milliarden Nettoverschuldung sowie jährlichen Milliardenzuschüssen für Infrastruktur und Regionalverkehr.

Die Pünktlichkeit (Verspätung unter sechs Minuten) im Fernverkehr lag 2018 bei 74,9 Prozent. Bei etwa zehn Prozent der Züge lag die Verspätung bei über 16 Minuten: Anschlußzüge waren oftmals weg. Die DB entschuldigt sich mit 30.000 Baustellen auf dem 33.400 Kilometer langen Streckennetz und täglich rund 40.000 Zügen. Im Vergleich zu den USA, Großbritannien oder Osteuro­pa muß sich die DB nicht verstecken, aber „Japans Bahnen sind Weltklasse“, schrieb kürzlich die Wirtschaftswoche.

Beim Thema Verspätung agiere das bergige Inselreich „in einer anderen Liga als Deutschland“, urteilte die Süddeutsche Zeitung. Und das gilt in zweierlei Hinsicht: Der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen fährt schon seit 1964 – pünktlich zu den ersten Olympischen Sommerspielen – von Tokio ins 515 Kilomter entfernte Osaka. Längst ist das separate Neubaustreckennetz mit bis zu 320 km/h schnellen Zügen auf mehrere Tausend Kilometer erweitert: Von der schneereichen Nordinsel Hokkaido bis zum subtropischen Kyushu. Die durchschnittliche Verspätung liegt unter einer Minute. Selbst Geschäftsleute und Politiker nutzen den Shinkansen regelmäßig.

Der Strom für das Bahnnetz in dem 126-Millionen-Land kommt allerdings nur zu zehn Prozent aus erneuerbaren Quellen. Seit der Fukushima-Katastrophe von dominieren Kohle, Gas und Erdöl. Die DB versucht mit dem Thema von ihren Problemen abzulenken: Seit 2018 seien „alle Reisenden im DB-Fernverkehr mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs“. Auch die 15 größten Bahnhöfe seinen schon „grün“. Ab 2030 sollen 80 Prozent und ab 2038 der gesamte Bahnstrom aus Ökoquellen kommen.

Die Allianz pro Schiene, eine Lobbyvereinigung aus Umweltverbänden und 150 Firmen aus der Eisenbahnbranche, läßt sich von solchem Marketing nicht beeindrucken. Die Bahn betreibt aktuell 4.119 Triebwagen und 3.111 Lokomotiven – 2.400 davon sind mit Dieselmotoren unterwegs. Maximal 70 Prozent der Strecken sollen laut Bundesregierung künftig einen Fahrdraht haben. In der Schweiz sind seit 2004 alle Strecken elektrifiziert. Zwischen 1994 und 2019 wurden lediglich 827 Kilometer an Verbindungen für den Personenverkehr reaktiviert – aber gleichzeitig über 3.600 Kilometer abbestellt.

149 Milliarden Euro externe Verkehrskosten?

Interessant ist, daß die Allianz pro Schiene zusammen mit dem Schweizer Institut Infras in einer aktuellen Studie nicht nur mit Greta, CO2 und Klimakatastrophe argumentiert, sondern auch mit anderen Folgekosten des Verkehrs: Diese haben sich demnach im Jahr 2017 in Deutschland auf rund 149 Milliarden Euro belaufen. „Zu den externen Kosten zählen alle negativen Auswirkungen der Mobilität, für die nicht die Verkehrsteilnehmer selbst bezahlen“, erläutern die Studienautoren. Hauptkostenfaktor sind mit 41 Prozent Unfälle und zu 21 Prozent „vor- und nachgelagerte Prozesse“. Dazu zählen etwa die Folgen Produktion und Entsorgung von Fahrzeugen. Das erklärt, warum für 94,5 Prozent der externen Kosten Lkws, Pkws und Motorräder verantwortlich seien. Die direkten externen „Klimakosten“ werden nur auf 18 Prozent taxiert. 

Der Schienenverkehr sei nur für 3,8 Prozent und der inländische Luftverkehr – aktuelles Angriffsziel für Grünen- wie CSU-Politiker – sei für lediglich 0,9 Prozent der Zusatzkosten verantwortlich. „Das liegt einfach daran, daß viel, viel mehr Menschen in Deutschland natürlich mit dem Pkw unterwegs sind, als Inlandsflüge zu nutzen“, erklärt Pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege. Warum dennoch über Flugscham, Kerosinbesteuerung oder Inlandflugverbote diskutiert wird, läßt sich aus diesen geringen Zahlen aber nicht erklären.

 www.allianz-pro-schiene.de/