© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Zeitschriftenkritik: Zeit Geschichte
Einseitige Geschichtserzählung
Werner Olles

Es sind natürlich nicht die raffgierigen, korrupten politischen Eliten der afrikanischen Staaten, in deren Taschen seit Jahrzehnten die westliche „Entwicklungshilfe“ landet, es ist auch nicht die katastrophale Überbevölkerung oder der in Zentralafrika wütende islamische Terrorismus. Und schon gar nicht ist es die reale Aussicht in Deutschland, Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden auf eine üppige Rundum-Versorgung. Glaubt man vielmehr Frank Werner, Chefredakteur des zweimonatlich erscheinenden Magazins Zeit Geschichte, „finde, wer sich für die Frage interessiert, warum so viele Menschen ihre afrikanischen Heimatländer verlassen, um sich auf den Weg nach Europa zu machen, die Antwort auch im Erbe des europäischen Kolonialismus“.

Und so beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe (4/2019) ebenso ausführlich wie einseitig mit dem Thema „Die Deutschen und ihre Kolonien. Das wilhelminische Weltreich 1884–1918“. Dafür bietet das Heft rund 25 Historiker auf, die als „Kolonialismus-Experten“ gelten, aber offenbar nicht wahrhaben wollen, daß „Kolonialismus“ ein Begriff von „kolossaler Uneindeutigkeit“ ist (Jürgen Osterhammel). 

Daß der ökonomische Nutzen der deutschen Kolonien sehr gering war, kommt nur am Rande vor und Bismarcks Abneigung gegen jede Art von Kolonialpolitik ebenfalls. Daß der bekannte Kolonialpolitiker Carl Peters, der 1884 Deutsch-Ostafrika begründete, von Bismarck ob seiner rüden Art gegenüber den Einheimischen gerügt wurde, findet genausowenig Erwähnung wie die Rettung eines afrikanischen Stammes vor arabischen Sklavenhändlern durch Peters. Unerwähnt bleiben auch die staatlichen Schulen und Fachschulen für Handwerk und Ackerbau ab 1897, die Lazarettstationen und Hospitäler, die Trockenlegung von Sümpfen und Impfungen gegen Pocken und die Arbeitsschutzverordnungen und Verbesserungen der Sanitätsarbeit für die indigene Bevölkerung. Keine Rede ist davon, daß die deutsche Kolonialpolitik das Kleinbauerntum förderte, indigene Autoritäten zur Gerichtsbarkeit über ihre Gemeinschaften ermächtigte und Versuchs- und Lehrplantagen für die Einheimischen eröffnete. 

Mit dem Versailler Vertrag verlor das Reich sämtliche Kolonien, doch 1925 schuf der frühere Kolonialminister Bell im Kabinett Scheidemann die „Interfraktionelle Koloniale Vereinigung“, der Parteimitglieder von der NSDAP bis zur SPD angehörten. Aber wenn sich selbst Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wegen seines Konzeptes des Humboldt-Forums rechtfertigen muß, weil das Museum angeblich „voller geraubter Objekte“ sei, daß sämtliche europäischen Forschungs- und Entdeckungsreisen von 1500 bis 1960 ein „koloniales Unternehmen“ waren, die Völkerkundemuseen „kolonialistisch geprägt“ seien, und Humboldt vorgeworfen wird, den „Kolonialismus befördert“ zu haben, dann ist dies pure Ideologie und Geschichtsklitterung.

Kontakt: Zeitverlag, Speersort 1, 20095 Hamburg. Das Einzelheft kostet 7,50 Euro. 

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