© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 37/19 / 06. September 2019

Der Flaneur
Bereit zur Evakuierung
Bernd Rademacher

Die Fahrt an den abgemähten Feldern entlang weckt Erinnerungen an meine erste „Bergeaktion“: Wir sind zwei Frauen, drei Männer und sieben Hunde. Bei sommerlichen 28 Grad ist es in Gummistiefeln und langen Hosen entsetzlich heiß. Dennoch haben wir einen sportlichen Weg vor uns. Bevor es losgeht, bekommen alle zwei Dosen Deospray und Latex-Handschuhe.

Wir bilden eine Kettenformation und rücken im Abstand von wenigen Metern langsam über eine hohe Wiese vor, die Hunde voraus. Am Ende der Fläche heißt es „kehrt“ und versetzt wieder zurück. Fünf Hektar, die Fläche von fünf Bundesliga-Fußballfeldern, wollen wir heute so ablaufen.

Mit Deo nebeln wir die Schlafplätze ein, damit sich dort keine Rehe mehr niederlassen.

Der Grund: Morgen früh läßt der Bauer die Wiesen vom Lohnunternehmer mähen. Um zu verhindern, daß Rehkitze vom Mähwerk zerhäckselt werden, wollen wir sie bergen. Rehkitze werden von ihren Müttern oft im hohen Gras abgelegt. 

Anfassen darf man die Kitze auf keinen Fall, damit sie keinen menschlichen Geruch annehmen, dazu haben wir die Latexhandschuhe. Mit dem Deo nebeln wir verlassene Schlafplätze ein, damit sich die Rehe nicht wieder dort niederlassen und sich stattdessen einen anderen Schlafplatz suchen. Auch unser Geruch und der der Hunde sollte sie davon abhalten, zurückzukehren. Tatsächlich scheuchen wir zwei Kitze auf, die aber schon groß genug sind, alleine wegzulaufen. Durch ihr klägliches Fiepen werden ihre Mütter sie später wiederfinden. Hoffentlich schneller als der Fuchs.

Wir haben es fast geschafft. Die Klamotten sind durchgeschwitzt und kleben am Leib. Die Belästigung durch Insekten wird immer unerträglicher. Einer hat wohl fliegende Härchen von Eichenprozessionsspinnern abbekommen und die Arme voller roter Quaddeln.  Auch die Hunde sind fix und fertig und stürzen sich auf das Trinkwasser aus dem Auto. Trotz der Strapazen ein wunderbares Naturerlebnis.