© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Kreative Lösungen gesucht
Großbritannien: Während das Parlament im Zwangsurlaub weilt, rätselt die Welt über Premier Johnsons Masterplan
Josef Hämmerling

Der Endkampf um den Brexit hat begonnen. Großbritanniens Premier Boris Johnson zeigt sich fest entschlossen, trotz aller Widerstände des Parlaments das Votum der britischen Bevölkerung vom 23. Juni 2016, aus der EU auszuscheiden, umzusetzen. Es werde auf jeden Fall am 31. Oktober dieses Jahres geschehen, eine erneute Verschiebung werde es mit ihm nicht geben. Lieber werde er „tot im Graben liegen“. 

Damit stellte sich der 55jährige nicht nur gegen die Labour-Opposition, sondern auch gegen Abgeordnete seiner eigenen konservativen Partei, die in einem gemeinsamen Antrag in der vergangenen Woche ein Gesetz verabschiedeten, daß Johnson den  Brexit auf den 31. Januar 2020 verschieben muß, sollte es bis zum 31. Oktober nicht zu einer Einigung mit der EU kommen. Ein harter Brexit soll damit vermieden werden.

BBC: Spannungen zwischen jungen und alten Briten

 In der britischen Bevölkerung ist die Entscheidung umstritten. Während in einer BBC-Reportage vor allem Jüngere eine Fristverlängerung begrüßten, stellte ein älterer Herr die Frage, sollte auch bis zum 31. Januar keine Einigung erzielt werden, ob die Frist dann bis zum 30. April usw. verlängert werden soll, bis es dann irgendwann in ferner Zukunft eine Einigung gebe?

Gleich zweimal konnte sich Johnson im Parlament nicht mit seiner Forderung nach Neuwahlen durchsetzen. Nach der zweiten Niederlage des Premierministers verließ die konservative Fraktion geschlossen das Unterhaus, wobei es, vor allem seitens der Opposition, zu tumultartigen Szenen kam, wie man sie im britischen Unterhaus selten erlebte.

Die Proteste waren auch deshalb so massiv, da das Parlament im Anschluß an diese Sitzung von Johnson bis zum 14. Oktober in eine Zwangspause (Prorogation), geschickt wurde. Nicht nur die Opposition protestiert massiv dagegen, sondern es gab im ganzen Land Massenproteste hiergegen. Dabei ist die Prorogation bei einem Regierungswechsel in Großbritannien eher normal. Damit soll der Regierung Zeit gegeben werden, ihr Regierungsprogramm der Öffentlichkeit ungestört vorzustellen. 

In Irland jedenfalls scheint es der britische Premier geschafft zu haben, Optimismus zu wecken, daß ihm wirklich eine neue Regelung mit der EU beim Backstop gelingen könnte. Dieser ist bislang das größte Problem. Der von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU-Kommission ausgehandelte Kompromiß sieht vor, daß das Vereinigte Königreich bis zu einer Regelung, wonach es zu keinen Grenzkontrollen zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland kommen wird, auch weiterhin der EU-Zollunion angehört. Dies wird von den Brexit-Befürwortern abgelehnt, da es, so Johnson, ein „Instrument der Einkerkerung“ Britanniens sei.

Irritationen um Fristenverlängerungen

Nach seinem Besuch beim irischen Regierungschef Leo Varadkar herrscht in Irland bei vielen ein gewisser Optimismus vor, daß es in den kommenden Wochen zu seriösen Verhandlungen zwischen Johnson und der EU-Kommission kommen könnte. Darauf deuteten der „Tonfall und der Inhalt seiner Äußerungen über die Vermeidung eines No-Brexit-Deals hin“, kommentierte die Irish Times. Auch Johnson und der britische Brexit-Minister Stephen Barclay haben immer wieder betont, viele Regierungen von EU-Staaten seien zu Kompromissen in dieser Frage bereit. „Dort ist man offen für kreative und flexible Lösungen“, wie Barclay betonte. In den kommenden Wochen sollen die Gespräche zu dieser Frage intensiviert werden, um doch noch zu einer Lösung zu kommen.

Dagegen überschlagen sich die Spekulationen, wie es weitergehen könnte. Eine Möglichkeit wäre, daß Johnson zwar den ihm im Wortlaut vorgeschriebenen Brief zur Fristverlängerung an die EU losschicken wird, in einem zweiten Brief aber Forderungen stellt, die die EU-Staaten nicht annehmen könnten. Es reicht schon ein einziges Land, das die beantragte Fristverlängerung ablehnt, um Johnsons Wunsch, zum 31. Oktober aus der EU auszutreten, durchzusetzen. Gerade in Frankreich werden Stimmen immer lauter, London keine weitere Zeit mehr zu geben.

Eine weitere Möglichkeit wäre der Rücktritt der britischen Regierung. Hierbei besteht allerdings, so britische Medien, die Gefahr, daß es Labour und Liberalen gelingen könnte, mit Hilfe abtrünniger Tory-Abgeordneter bis zu Neuwahlen eine Übergangsregierung zu bilden, die den Brexit verschiebt oder gar ein neues Referendum beschließt.