© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Ein Golf so billig wie ein Tretroller
Verkehrspolitik: Das gesetzlich geförderte Carsharing rechnet sich bislang nicht / Zu wenige aktive Nutzer
Marc Schmidt

Es sollte Teil der „Verkehrswende“ sein, bis zu 2,5 Millionen Privatautos ersetzen, Parkplatzprobleme lösen, der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen, das Image der Autohersteller aufbessern und ihnen neue Geschäfte ermöglichen. Dem Carsharing wurden seitens Politik, Medien und Marketing Wunderkräfte zugeschrieben. Einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney zufolge haben in Deutschland nur elf Städte eine für den Betrieb einer Carsharingflotte ausreichende Größe und Bevölkerungsdichte, wobei nur die Zentren von Berlin, Hamburg und München das Potential bieten, Carsharing mit freier Parkplatzwahl profitabel zu betreiben.

Carsharing mit festen Parkplätzen (Stationen) sei in Deutschland generell nicht profitabel. Die Praxis bestätigt die Berater: Mazda stellt sein Carsharingangebot an ausgewählten Großstadtstandorten nach wenigen Monaten zum Jahresende ein. Damit verabschiedet sich nach Citroën (Multicity) der zweite Hersteller, der markengebunden agierte. Der Imageverlust für die Japaner, deren Angebot kaum bekannt war, ist gering, blamiert durch den Rückzug sind ihre Partner, die wesentlich mehr in das Marketing der nur 330 Autos für ganz Deutschland umfassenden Flotte investiert haben: die Deutsche Bahn AG und Lidl. Beide erhofften sich durch Flinkster eine höhere Kundenansprache durch die Zusatzleistung abseits des Kerngeschäfts. Sie haben sich noch nicht geäußert, ob sie einen neuen Partner suchen oder das Angebot einstellen.

Die verbleibenden Carsharing-Anbieter mit signifikanter Flottengröße, ShareNow (Notgemeinschaft von Car2go/Mercedes und DriveNow/BMW), WeShare von VW und SIXTshare ohne Markenbindung haben auch nach dem Ausscheiden der Wettbewerber erhebliche Probleme. Durch die Konzentration des Angebots auf die wenigen identifizierten lukrativen Standorte bleibt Carsharing eine Nische, die außerhalb der Metropolen ein ähnlich negativ-yuppiesiertes Image aufweist wie Caffè Soja-Latte oder E-Tretroller. Dies liegt auch an den E-Autos. Diese haben Schwierigkeiten, ihre hohen Anschaffungskosten über die kleinen Mietmargen bzw. geringe Zahl der täglichen Fahrten einzuspielen.

Hinzu kommen eine unsachgemäße Behandlung der Fahrzeuge, Vermüllung und nicht gemeldete Bagatellschäden mit hohen Versicherungskosten, welche den Kostendruck weiter verstärken. Bei den E-Autos, die VW einsetzt, kommt die Aufladungsproblematik hinzu. Da nur Carsharing ohne fixe Stationen, also mit freier Parkplatzwahl mittelfristig als durchsetzbar gilt, muß Personal vorgehalten werden, das die eGolf nachts an die Ladesäulen fährt oder schlicht von unattraktiven Stellplätzen am Rand des Nutzungsbereichs zurück zu den am meisten frequentierten Punkten bringt.

Ruf nach zusätzlichen Sonderregelungen

VW (WeShare) verlangt für einen eGolf in Berlin derzeit keine Registrierungsgebühr und nur 19 Cent pro Minute – genausoviel wie der E-Scooter-Verleiher TIER Mobility. Allerdings: Bei komplett leergefahrener Batterie werden bei WeShare 50 Euro Strafgebühr und ein Mehrfaches an Abschleppkosten fällig. Gewinn mit Carsharing läßt sich daher nur durch eine verbesserte Auslastung erzielen. Da zwar die Zahl der angemeldeten Nutzer regelmäßig steigt, aber die Zahl der Fahrten kaum, müßte man die Zahl der Fahrzeuge reduzieren. Dies hätte aber zu den Vermietungsstoßzeiten im Berufsverkehr weitere Engpässe zur Folge. Es würde Carsharer verärgern und potentiele Neukunden vergraulen. Traditionelle Autovermieter müssen hingegen immer ein Fahrzeug anbieten – im Zweifel statt eines bezahlten Polos sogar einen Audi rausrücken.

Angesichts dieser Probleme verwundert es, daß die Anbieter am Carsharing festhalten. Ein wesentlicher Punkt hierbei ist der politisch-gesellschaftliche Druck, die gehypte Form der neuen Mobilität anzubieten. Kaum eine Sonntagsrede zum Klimawandel kommt ohne den Hinweis aus, daß die Mobilität der Zukunft ohne Privatautos auskommen soll und muß. Dabei bestätigen diverse Studien: Nur fünf Prozent der Bevölkerung kommen als Nutzer eines Carsharingmodells in Frage. Würden diese komplett auf Privatautos verzichten, würde dies theoretisch zwei Millionen weniger zugelassene Fahrzeuge unter Gegenrechnung der Carsharing-Kfz bedeuten. Allerdings zeigen die Großstadtbewohner bisher keinerlei Neigung, diese Berechnung umzusetzen. So stieg allein in Hamburg in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Privatfahrzeuge um mehr als zehn Prozent an und damit stärker als die Wohnbevölkerung.

Angesichts dieser Branchenprobleme erfolgt seitens der Anbieter der obligatorische Ruf nach der Politik. ShareNow, die grün-hippe Tochter von BMW und Daimler, fordert für ihr nicht tragfähiges Geschäftsmodell noch stärkere Privilegierungen bei den Carsharing-Parkplätzen, Einfahrt in verkehrsreduzierte Bereiche oder Vorteile bei der Nutzung von Ladesäulen. Nur so ließe sich das Ziel der Zurückdrängung der Privat-Kfz durch Carsharing verwirklichen.

Sprich: Durch zusätzliche Sonderregelungen für eine aktuell 0,4 Prozent der Autofahrer umfassende Minderheit sollen Millionen andere benachteiligt werden. Allerdings könnten sich dafür schnell politische Mehrheiten finden. So verlängerte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Kaufprämie für E-Autos um ein weiteres Jahr – ohne zu erklären, warum das 4.000-Euro-Geschenk nach drei Jahren Wirkungslosigkeit nun doch wirken sollte.

„The Demystification of Car Sharing – An in-depth analysis of customer perspective, underlying economics, and secondary effects“:   www.atkearney.de





Autovermietung und Carsharing

Alamo, Avis, Buchbinder, Budget, Enterprise, Europcar, Global, Hertz, Interrent, Sixt oder Thrifty – einen Mietwagen zu finden ist einfach. Und wer in einer Stadt mit verläßlichem ÖPNV wohnt sowie nur hin und wieder ein Auto braucht, spart so unterm Strich viel Geld, wenn man die Kosten für Neuwagenkauf/Leasing, Kfz-Steuer, Versicherung und Wartung zusammenrechnet. Eine politisch geförderte „grüne“ Mischform aus eigenem Auto und Mietwagen ist das Carsharingfahrzeug. Das ist laut dem Gesetz zur Bevorrechtigung des Carsharing (CsgG) ein Auto, das von einer unbestimmten Anzahl von Fahrern „auf der Grundlage einer Rahmenvereinbarung und einem die Energiekosten mit einschließenden Zeit- oder Kilometertarif oder Mischformen solcher Tarife angeboten und selbständig reserviert und genutzt werden kann“. Und da Carsharingfahrzeuge angeblich „zu einer Verringerung des motorisierten Individualverkehrs“ und „zu einer Entlastung von straßenverkehrsbedingten Luftschadstoffen“ beitragen, werden ihnen Privilegien bei der Nutzung des „öffentlichen Straßenraums“ gewährt.