© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/19 / 13. September 2019

Radikaler Pazifismus ist auch keine Lösung
Der Militärbischof Sigurd Rink über das schwierige Verhältnis zwischen Kirche und Armee
Michael Dienstbier

Kann man als Christ eigentlich noch guten Gewissens Mitglied der evangelischen Kirche sein? Eine zugegebenermaßen überspitzte Formulierung, die jedoch durch den jüngsten Evangelischen Kirchentag in Dortmund neue Nahrung erhalten hat. Fundamentaltheologische Fragestellungen standen nicht auf der Agenda, stattdessen besuchten die Gläubigen Workshops zu den Themen „Vulven malen“ oder „Schöner kommen“. 

Daß Merkel und Gauck als Superstars der einzig wahren Humanität und Nächstenliebe gefeiert worden sind, versteht sich von selbst, genauso wie die Tatsache, daß die „Antichristen“ von der AfD nicht erwünscht waren. Keine Organisation ist so sehr mit dem politisch-medialen Zeitgeist verschmolzen wie die evangelische Kirche. Auch Sigurd Rink, der seit 2014 als erster hauptamtlicher evangelischer Militärbischof amtiert, vertritt weitgehend den EKD-Mainstream. Dennoch ist sein Buch in Teilen durchaus lesenswert, basieren seine Überlegungen und Reflexionen doch auf persönlich Erlebtem, was zwangsläufig mit der zur Zeit vorherrschenden reinen EKD-Lehre in Konflikt geraten muß.

Überzeugend beschreibt Rink zu Beginn seinen persönlichen Wandel vom „Fundamentalpazifisten zum Militärbischof“. Als Student zu Beginn der achtziger Jahre sei man als junger Student zwangsläufig in einem pazifistisch-ökologischen Zeitgeist sozialisiert worden, so Rink über sein Studium in Marburg. Auch habe es zwischen der evangelischen Kirche und den Grünen „eine große Affinität“ gegeben, wie er freimütig zugesteht. Retrospektiv bewertet er seinen radikalpazifistischen jugendlichen Furor durchaus kritisch: „Ich denke, daß der fundamentalpazifistische Rigorismus der achtziger Jahre sozusagen im Windschatten der Geschichte gedeihen konnte. Der gesinnungsethische Standpunkt mußte sich gegen keine Handlungsanforderungen behaupten, die sich aus einem verantwortlichen Involviertsein in die Wirklichkeit ergeben.“

Im Hauptteil beschreibt Rink die Genese der verschiedenen Auslandseinsätze der Bundeswehr seit dem Kosovo-Krieg 1999. Dies verbindet er mit den Schilderungen seiner persönlichen Besuche bei den Soldaten in den Einsatzgebieten. Dabei erinnert er in einigen Momenten an den Abenteuerjournalismus des unvergeßlichen Peter Scholl-Latour, so zum Beispiel, wenn er von einer mißlungenen Helikopterlandung in der malischen Hauptstadt Bamako berichtet, die ein gigantischer Sandsturm verhindert habe. 

Rechtserhaltende Gewalt unter äußersten Umständen

Doch Rinks Fokus liegt nicht auf der episodenhaften Darstellung einzelner Momente, sondern auf der Beantwortung der titelgebenden Leitfrage, die ihn als gläubigen Christen im allgemeinen und Militärbischof im besonderen dauerhaft beschäftigt. Sein von der Verantwortungsethik geprägtes Fazit ist unter Berücksichtigung der aktuellen Ausrichtung der EKD durchaus bemerkenswert: „Ja, ich denke heute, daß rechtserhaltende Gewalt unter äußersten Umständen, als Ultima ratio, gerechtfertigt sein kann – niemals als friedensbringende Lösung, sondern lediglich, um die Bedingung der Möglichkeit von Frieden zu schaffen.“

Deutlich wird jedoch auch, daß Rink klar die aktuelle Ausrichtung der EKD vertritt – anders wäre seine steile Karriere auch nicht zu erklären. Ungarn und Polen, so der Autor, würden „europäische Werte mit Füßen treten“. In bezug auf Deutschland warnt er vor dem Erstarken einer „explizit nationalistischen, ausländerfeindlichen und geschichtsvergessenen Partei“ – wen er damit wohl nur meint. Merkels Grenzöffnung 2015 sei eine „humanitäre Notwendigkeit“, die „kaum Alternativen hatte“. Das anschließende Klagen über einen Kontrollverlust qualifiziert er arrogant als eine „medial potenzierte Übertreibung“ ab, und Salvinis Migrationspolitik wird als „Rückfall in die Barbarei“ gebrandmarkt. Wer keine Lust auf diese anbiedernde Gesinnungsprosa hat, aber dennoch an den auf persönlichen Erfahrungen basierenden Reflexionen eines Christen über Krieg und Frieden interessiert ist, dem sei empfohlen, das Buch nach 160 von 280 Seiten zu schließen, um sich einen positiven Gesamteindruck zu bewahren.

Sigurd Rink: Können Kriege gerecht sein? Glaube, Zweifel, Gewissen – wie ich als Militärbischof nach Antworten suche. Ullstein Verlag, Berlin 2019, gebunden, 288 Seiten, 20 Euro