© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Dokumente deutschen Daseins
Bundestag: Mit Bildern will die AfD zur positiven Identitätsstiftung beitragen
Jörg Kürschner

Thomas Nord, seit 2009 Bundestagsabgeordneter der Linken, hatte nach der jüngsten Wahl allen Grund zur Freude. „Wie schon der alte, so trägt auch der neue Fraktionssaal die Bezeichnung ‘Clara-Zetkin-Saal’. Das Namensschild von Clara Zetkin ist wieder am Eingang zu lesen, es ist mit umgezogen“, triumphierte der Parlamentarier, der als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes jahrelang Menschen ausspioniert hatte. Die kommunistische Reichstagsabgeordnete hatte 1926 den berüchtigten Leiter der sowjetischen Geheimpolizei, Felix Dserschinski, gelobt, da er „Entscheidendes und Unvergeßliches“ geleistet habe, er „säuberte den Weg für den sozialistischen Aufbau“. Bereits seit 2006 tagen die Linken, die damals noch als PDS firmierten, mit offizieller Genehmigung des Bundestages im „Clara-Zetkin-Saal“.

Bedenken gegen diese Namensgebung werden nicht geäußert, gehört doch die Linke-Fraktion längst zum politischen Establishment. Anders verhält es sich mit der AfD-Fraktion, die im November vergangenen Jahres beschlossen hatte, ihren Fraktionssaal „Saal Paulskirche“ zu nennen. Auf Anweisung von Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) untersagte die Verwaltung jedoch der Fraktionsführung das gewünschte Namensschild „Saal Paulskirche“ (JF 33/19). Ihr wurde bedeutet, sie könne sich nicht auf die demokratische Tradition der Paulskirche berufen. „Was sie in den Wahlen nicht schaffen, versuchen sie mit verwaltungstechnischen Tricks, um uns auszugrenzen“, ärgerte sich Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann.

Doch die AfD-Fraktion wollte diese Benachteiligung nicht hinnehmen und beauftragte die Duisburger Portraitzeichnerin Melanie Tietjen, „Bilder aus der deutschen Geschichte“ anzufertigen. So sind in engem Kontakt mit der Fraktion sieben großformatige, zum Teil schwarz-rot-gold kolorierte Graphitbleistiftzeichnungen entstanden, die jetzt den AfD-Fraktionssaal im Reichstagsgebäude zieren. Honorar 6.000 Euro. Einen „hohen Grad von Idealismus“, bescheinigte der Abgeordnete Christoph Neumann der Künstlerin. Er hat in engem Kontakt wochenlang mit Tietjen über die Einzelheiten des Bilderzyklus beraten.

Die Künstlerin, die ihre Sympathien für die Partei nicht verhehlt, war sich mit den Experten der Fraktion schnell einig, daß die Zeichnungen eine „positive Identitätsstiftung“ ausdrücken sollen, wie der Historiker Götz Frömming hervorhebt. Dem Abgeordneten, der im rot-rot-grün regierten Berlin seine Erfahrungen als Geschichtslehrer machen mußte, war wichtig, daß nicht nur die negativen Phasen der deutschen Geschichte dargestellt werden. „Sowohl die Zeit der NS-Diktatur als auch die Diktatur der SED sind nicht Bestandteil dieser positiven Tradition, auf die sich die AfD-Bundestagsfraktion bezieht, und werden deshalb im ‘Saal Paulskirche’ nicht dargestellt“, betonte Frömming im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Dabei gehe es nicht um eine lückenlose Beschreibung der deutschen Geschichte, im Vordergrund stehe das Streben des deutschen Volkes nach Einigkeit, Recht und Freiheit.

Den Vorwurf des Historikers Wolfgang Wippermann, die AfD leite damit die vom thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke geforderte „erinnerungspolitische Wende“ ein, hält Frömming für „großen Unsinn“. Es werde versucht, der AfD „etwas anzuhängen“. Die Paulskirche stehe in der Tradition der deutschen Demokratie, zu der auch die AfD gehöre. Der Kritik in einigen Medien, die Verabschiedung des Grundgesetzes nicht durch eine eigene Zeichnung gewürdigt zu haben, widerspricht der Parlamentarier. 1949 ergebe sich aus der Zeichnung „Die Wiedervereinigung“. Im übrigen finde sich ein Hinweis auf das Grundgesetz auf der Tafel, die jedem Besucher innerhalb des Saales ins Auge falle. Vorgeschoben sei die Argumentation der Verwaltung, Fraktionssäle würden nach Personen benannt und nicht nach Institutionen, ergänzt Baumann. Die AfD sei eine junge Partei, die noch nicht auf verdiente Repräsentanten verweisen könne. Eine rechtliche Handhabe gegen Schäubles Veto gebe es aber nicht.

Derzeit herrscht Funkstille zwischen der Fraktionsführung und der Parlamentsverwaltung. Doch Frömming hat Signale empfangen, daß die Frage eines Namensschilds am Eingang des AfD-Saals doch noch einmal im Ältestenrat des Bundestags behandelt werden soll. Die AfD ist mit drei Abgeordneten in dem Gremium vertreten, nicht aber mit einem Bundestagsvizepräsidenten.

Internetseite der Künstlerin Melanie Tietjen:  www.melantie.de