© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Deutschland als grünes Vorbild
Umweltpolitik: Mit Verboten, Ausstiegsszenarien und einer umfassenden CO2-Bepreisung drohen den Bürgern zusätzliche Milliardenbelastungen
Paul Leonhard

Bei der Generaldebatte in der vergangenen Woche ließ Angela Merkel die Katze aus dem Sack: „Wenn wir den Klimaschutz vorantreiben, wird es Geld kosten – dieses Geld ist gut eingesetzt.“ Denn es würde mehr kosten, den Klimaschutz zu ignorieren, so die Bundeskanzlerin. Am 20. September werde das Klimakabinett einen „gewaltigen Kraftakt“ geschafft haben und konzertierte Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg bringen. 

Bepreisung und Mengensteuerung von Kohlendioxid seien Lösungen, um den „CO2-Fußabdruck“ zu verringern. Das erfordere den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Dazu gehöre die Akzeptanz für neue Leitungen und Windanlagen, die meist auf dem Land entstehen. Dabei müsse man aber einer „gewissen Arroganz“ von Menschen, die in Städten leben, entgegenwirken. Es brauche hingegen ein „Bündnis von Stadt und Land“, so die Ex-CDU-Chefin. Kleine Kommunen könnten beispielsweise an den Gewinnen von Windanlagen beteiligt werden.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze zeigt sich im Streit um das Klimakonzept der Bundesregierung kompromißbereit. Im SWR-Tagesgespräch sagte die SPD-Politikerin zur umstrittenen CO2-Steuer, sie „klebe nicht an einem Modell“. Ihr sei wichtig, daß die Bepreisung fair und ausgeglichen sei und denjenigen geholfen werde, die wenig Geld hätten. Daran müsse sich jedes Gesamtkonzept aus wahrscheinlich vielen Einzelmaßnahmen messen lassen. Die Union hat sich Medienberichten zufolge darauf festgelegt, die CO2-Bepreisung über eine drastische Ausweitung des EU-Handels mit Emmissionsrechten (ETS) vorzunehmen (JF 38/19). Eine zusätzliche CO2-Steuer werde abgelehnt.

Einig sind sich die drei Koalitionsparteien in ihrem festen Glauben an die Lenkungswirkung eines höheren CO2-Preises. Die Bürger müßten wissen, daß Sprit und Heizöl in den nächsten Jahren teurer werde und daß es sich lohne, in neue Anlagen oder Autos zu investieren. „Als reiches Land muß Deutschland hier Vorbild sein“, meinte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in der Welt. „Alle können sich vorbereiten. Wir schaffen eine klare Perspektive – und damit Vertrauen.“ Das Klima zu schützen werde „nur gelingen, wenn wir alle mitnehmen“, so der frühere CSU-Generalsekretär.





Plastiktütenverbot 

Wir wollen ein deutschlandweites Verbot von Plastiktüten“, heißt es in der CSU-Klimastrategie. „Plastiktüten sind der Inbegriff der Ressourcenverschwendung: Sie werden aus Rohöl hergestellt und oft nur wenige Minuten genutzt. Häufig landen sie in der Umwelt, wo sie über viele Jahrzehnte verbleiben und jede Menge Schäden anrichten können. Die Zeit ist reif für ein Plastiktütenverbot“, findet Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). Das Verbot soll ein halbes Jahr nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten – wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen. Verboten werden sollen Einweg-Plastiktüten. Die Hemdchentüten für Obst und Gemüse bleiben weiter erlaubt. Verboten werden auch sogenannte Bioplastiktüten. Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen kritisiert die Entwürfe scharf. Ein Verbot bedeute eine ungerechtfertigte Diskriminierung des Materials gegenüber Wettbewerbsmaterialien. Zugleich stelle es einen „enttäuschenden Vertrauensbruch“ dar, denn obwohl Industrie und Handel im Rahmen freiwilliger Selbstverpflichtungen bereits heute die europäischen Ziele übererfüllten, drohten nun Verbote.





Wäsche waschen

Auch das Wäschewaschen ist im Regirungsvisier: Bis zu 200 Kilowattstunden Strom verbraucht eine Waschmaschine pro Jahr, und bei jedem Waschgang lösen sich feinste Teile aus dem in der Kleidung vernähten Polyester und fließen ins Abwasser. 

Ein Drittel des Mikroplastiks, das derzeit im Meer landet, stammt davon. Das zeigt jedenfalls eine neue Studie der Weltnaturschutzunion ICUN. Tendenz steigend, denn die Produktion von Polyesterfasern soll sich bis 2025 noch verdoppeln. Nicht nur der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) fordert daher: Industrielle Vorwäschen mit Filtersystemen für neu hergestellte Kleidung, den Einsatz von Filtern in Waschmaschinen, rechtliche Vorgaben für die Filtration von Fasern in Kläranlagen sowie die Entwicklung von Alternativen, zum Beispiel durch „Grüne Chemie/ Grüne Wirtschaft“.





Vom Wind verweht

Während die Thüringer CDU-Fraktion einen Baustopp für Windkraftanlagen fordert, verspricht die CSU „die Spielräume bei der Windenergie insbesondere in den Staatswäldern nutzen“. Die SPD verlangt „klare Signale für den weiteren Ausbau“. Die reale Windstromerzeugung wird sich für Europa bis Ende des Jahrhunders durchschnittlich nur geringfügig ändern, selbst wenn für einzelne Länder mit größeren Änderungen gerechnet wird. Das prognostizieren Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) anhand räumlich und zeitlich hochaufgelöster Klimamodelle. Allerdings sind größere jahreszeitliche Schwankungen sowie eine Häufung von Schwachwindphasen zu erwarten. Für die Stromproduktion optimale Windgeschwindigkeiten werden über den Meeren etwas seltener auftreten. Zugleich sind häufigere Schwachwindphasen mit Windgeschwindigkeiten unter drei Metern pro Sekunde über dem europäischen Kontinent zu erwarten. Dies ist insoweit problematisch, als dadurch die Volatilität der Windstromproduktion weiter erhöht wird. Im Baltikum und in der Ägäis könnte die Windstromerzeugung künftig von den Klimaänderungen profitieren. Für Deutschland, Frankreich und die Iberische Halbinsel sind eher nachteilige Auswirkungen zu befürchten.





Gute und böse Autos

Das Bundesverwaltungsgericht hat prinzipiell Fahrverbote für Dieselautos erlaubt. Damit soll sich die Luftqualität in den Innenstädten verbessern. Übersehen wird dabei, daß es auch CO2-Emissionen durch Benzinmotoren und durch Kraftwerke gibt, die den für Elektromobilität benötigten Strom mit produzieren. In Hafenstädten kommen noch die Schiffe dazu. „Wer den Diesel verbieten will, stellt sich gegen Klimaschutz”, argumentiert Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA). Dieselautos haben eine etwa zehnprozentigen Vorteil beim CO2-Ausstoß gegenüber Benzinern. Zudem würden zum Jahresende 80 Prozent der neuen Dieselautos mit der SCR-Technolgie ausgestattet sein, bei der Harnstoff (AdBlue) dem Abgas beigemischt word, um Stickoxid zu binden. Batterieelektrische Pkw gelten als weniger klimaschädlich als Autos mit Verbrennungsmotor. Es ist allerdings eine Wette auf die Zukunft: einerseits auf komplett regenerativ erzeugten Grünstrom, andererseits auf noch zu entwickelnde neue Technologien bei der Batterieherstellung. Die Lebenszyklus-Emissionen von E-Pkw seien nach einer Fahrtstrecke von 150.000 Kilometerv 24 Prozent geringer als die von Benzinern und 16 Prozent geringer als die von Diesel-Pkw, heißt es in einer Studie des ifeu-Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg. Würde ausschließlich solar erzeugte Elektrizität genutzt, wäre der Klimavorteil der E-Fahrzeuge etwa doppelt so groß. Allerdings ist der Rohstoffaufwand (Lithium, Kobalt) bei Elektroautos höher als bei konventionellen Fahrzeugen, ebenso die Masse des insgesamt ausgestoßenen Feinstaubs. Bei Stickoxiden ist das E-Auto hingegen im Vorteil. Um einen günstigen Umwelt- und Klimaabdruck zu hinterlassen, müssen E-Auto-Fahrer für viel unterwegs sein, denn erst jeder gefahrene Kilometer kompensiert die „Startlast” der mit der ressourcen- und energieintensiven Batterieherstellung verbundenen Emissionen.





Fleisch und Milch zusätzlich besteuern

Eine drastische Reduzierung der Rinderbestände haben nicht nur die Grünen, sondern auch die unternehmerfreundlichen „Wirtschaftsweisen” in ihrem Sondergutachten „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“ gefordert. Grund: Milchkühe seien größten Einzelemittenten von Methan sind. Die Viehhaltung verursacht laut der UN-Agrarorganisation FAO etwa 15 Prozent der globalen „Treibhausgasemissionen“. Das Umweltbundesamt will höhere Preise für Fleisch und Milch, um die Nachfrage zu verringern. Die politische Milchmädchenrechnung lautet dabei so: Wenn künftig 19 statt sieben Prozent Mehrwertsteuer für Fleisch fällig werden, würden die Verbraucher bis zu zehn Prozent weniger davon kaufen. Um extreme Härten zu verhindern, könnten die Hartz-IV-Regelsätze etwas erhöht und Geringverdiener steuerlich leicht entlastet werden. Noch wehrt sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) gegen die Idee, den Bürgern „durch Strafsteuern vorzuschreiben, was auf den Tisch kommt”. 





Ende der Kohle besiegelt

Noch im September 2017 rief Lars Kulik, Chef der Vereinigung Rohstoffe und Bergbau (VRB) die kommende Bundesregierung auf, weiterhin den heimischen Energieträger Braunkohle zu nutzen: Sie habe wegen ihrer „Verfügbarkeit, ihrer hohen Wettbewerbsfähigkeit, ihrer großen regionalwirtschaftlichen Bedeutung und der zunehmenden Flexibilität der Braunkohlekraftwerke im Strommarkt für die kommenden Jahre und Jahrzehnte eine gute Perspektive.“ Es nutzte nichts. Die Kohleverstromung in Deutschland soll bis spätestens 2038 beendet werden. Um den betroffenen Regionen beim Strukturwandel zu helfen, sollen 40 Milliarden Euro an Steuergeld fließen. An der Förderung und dem Verbrauch von Braun- und vor allem Steinkohle dürfte sich in den kommenden 20 Jahren weltweit aber nur wenig ändern. Das ergibt sich aus einer Auswertung diverser Energieprognosen internationaler Organisationen und Energieunternehmen wie der Internationalen Energieagentur (IEA) und dem Konzern British Petrol.





Flüge viel teurer machen

Ende August forderte Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt via Bild-Zeitung höhere Flugpreise: „Ich will Klimaschutz statt Kampfpreise“, verlangte der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag. „Wer Flugtickets unter 50 Euro anbietet, soll zukünftig eine Kampfpreis-Steuer bezahlen.“ Die Luftverkehrsteuer ist ihm offenbar nicht hoch genug. Bereits im März hatte der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek gefordert, daß jeder nur noch drei Auslandsflüge im Jahr machen dürfe. Mitte Juni plädierte Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen, für eine deutschlandweite Verbotszone für alle Inlandsflüge. Fliegen sei etwa fünf- bis sechsmal so klimaschädlich wie Fahrten mit Bahn oder Bus, hätten Berechnungen des Umweltbundesamtes ergeben. In Leipzig wird trotzdem eine Fabrik für Flugzeuge gebaut, die es künftig nicht mehr geben soll: die von Regierungsangestellten und Konzernlenkern gern genutzten Kurzstreckenjets. Der Anteil des innerdeutschen Luftverkehrs an den deutschen CO2-Emissionen liege bei 0,3 Prozent, sagt Matthias von Randow. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft verweist darauf, daß im Luftverkehr die CO2-Emissionen seit 1990 um 43 Prozent reduziert wurden. 





„Emissionsfreie“ Kreuzfahrer

„Untragbar für Klima, Umwelt und Gesundheit“ – die Schiffsbranche mache zu „Lasten von Mensch und Natur Profit“ kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und fordert: „Der Gesetzgeber muß endlich handeln“. Vor allem beim Thema Antrieb soll es eine Wende geben. Verschärfte gesetzliche Bestimmungen sollen dies erreichen. Zudem müßten die Steuerbefreiung mariner Kraftstoffe (Schweröl) „dringend beendet“ und die „Anforderungen an Energieeffizienz der Schiffe angehoben“ werden, so die Klimaaktivisten von „Friends of the Earth“. Bezüglich der „Wende“ sieht sich der Verband Deutscher Reeder (VDR) auf gutem Weg. „Die deutschen Reeder sind Pioniere bei diesem wichtigen Thema“ betont Ralf Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des VDR. Der am 12. August für „umweltfreundliches Schiffsdesign“ verliehene „Blaue Engel“ für die Aidanova von der Papenburger Meyer-Werft, sei ein „überzeugender Beleg für die großen Anstrengungen der Schiffahrt“, die Meere und unsere Umwelt „selbst über geltende Vorschriften hinaus zu schützen wo es technisch möglich und wirtschaftlich machbar“ sei. Die Aidanova ist das erste Kreuzfahrtschiff der Welt, das zu 100 Prozent mit komprimierten Erdgas (Liquified Natural Gas/LNG) betrieben werden kann. Auch das Bundesumweltmisterium (BMU) glättet die Wogen. Der Anteil des Schiffverkehrs an den gesamten Schadstoffemissionen des Verkehrs sei deutschlandweit eher gering, heißt es aus Berlin. Dennoch seien für den Bereich der Binnenschifffahrt die neuen EU-Abgasgrenzwerte der Stufe V, die ab dem Jahr 2020 für alle neuen Binnenschiffsmotoren gelten, noch einmal deutlich verschärft worden. Zudem habe das Bundesverkehrsministeriums ein Förderprogramm zur nachhaltigen Modernisierung von Binnenschiffen aufgelegt. Auch im Bereich der Seeschiffahrt seien die gesetzlichen Umweltschutzbestimmungen der Internationalen Seeschiffahrts-Organisation (IMO) in den vergangenen Jahren deutlich verbessert worden. Langfristig soll der Seeverkehr auf CO2-neutrale Kraftstoffe umgestellt werden, damit er auch einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz leiste, so das BMU.