© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Pankraz,
Oscar Wilde und die Demo gegen das Auto

Wir müssen schlechter werden, um überleben zu können.“ So ein Demonstrant vollmundig und lautstark gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main angesichts all der schönen, bequemen, das Leben erleichternden neuen Modelle, die dort gezeigt werden. Der Mann hatte vielleicht nicht ganz unrecht. Was aber ist denn  – muß man sofort fragen – ein Leben wert, in dem es (um des „Überlebens“ willen) keine Verschönerungen und Verbequemlichungen mehr geben darf?

Besteht das Leben nicht von Anfang bis Ende aus dem Drang nach Verschönerung und Verbequemlichung? Das gilt ja sogar für die Zöglinge strapaziöser, oft schmerzhafter Erziehungssysteme, welche diese „abhärten“, will sagen: für künftige Führungs- und Herrschaftsaufgaben fit machen sollen. „Du sollst es später einmal bessser haben als ich“, sagen die Erzieher. Die gegenteilige Aussage, „Du sollst und wirst es eines Tages schlechter haben“, klänge völlig absurd, wäre reiner Zynismus.

Ein Blick auf die Historie insgesamt läßt rasch erkennen, daß der Antrieb menschlicher Einbildungskraft und Betätigung primär der Verbequemlichung und Verschönerung des Lebens gewidmet war. Man wollte Zeit und Raum gewinnen, Ordnung und Maß, einen Wert über die natürlichen Verhältnisse hinaus, einen „Mehrwert“, welcher Bestand hatte und den Alltag verschönerte und bequemer machte. Der altgriechische Begriff der „techné“ meinte nichts anderes. Die „techné“, die Technik, war das Mittel, um den Alltag bequem und schön zu machen, ihm Maß und Ordnung abzugewinnen.


Mit einigem Risiko läßt sich auch sagen: Die Technik war ein Kind der gemäßigten Zonen. Die Menschen in den heißen Tropen oder in der eisigen Arktis hatten genug damit zu tun, sich den waltenden Temperaturen anzupassen, die der mittleren Zonen fanden hinreichend Zeit, über Verschönerung und Verbequemlichung zu theoretisieren und dergestalt eine Art Arbeitssystem zu gestalten. Dadurch kam man technisch besser voran als die Tropiker und die Arktiker, geriet freilich auch in die Gefahr, sich dem theoretischen System regelrecht auszuliefern und sich vom Alltag zu entfernen.

Nur so läßt sich wohl erklären, daß jetzt unter „aufgeklärten“ Intellektuellen die Vermutung entstehen konnte, die Technik überhaupt sei das Übel der Moderne, und es komme nun darauf an, die technischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte anzuklagen, sie dramatisch zu reduzieren. sie auf breitester Front mit hohen Steuern zu belegen, ja, sie staatlicherseits geradezu zu verbieten und eine „Verbotskultur“ einzuführen. Die rabiaten Demonstrationen gegen die diesjährige IAA in Frankfurt sind dafür typisch. 

Verbessern wird man dadurch nichts, man will es auch gar nicht mehr. „Verschlechterung“ lautet tatsächlich die Devise. Zunächst ging es gegen Diesel, heuer sind die Geländewagen, die SUV, dran, morgen werden es die Autos insgesamt sein, ob nun Benzin, Batterie oder Wasserstoff. Und nicht nur die Produkte der Technik stehen auf der Abschußliste, sondern auch die Technik selbst, die Technikgenies, die diversen Forschungsinstitute, die bisher tief eingewurzelte Überzeugung von der „Fortschrittlichkeit“ der Technik. 

Freilich sind nur wenige so ungeniert wie jener Demonstrant auf der Automesse, welcher die Verschlechterung forderte. Vom Schlechterwerden der Zustände redet kein Mächtiger gern, weil er ja selber für diese Zustände veranwortlich ist. Er hat immer nicht nur das Beste gewollt, sondern selbstverständlich auch das „Bestmögliche“ getan. An die Stelle des Schönermachens ist medial überall das Schönreden, die Beschönigung getreten. Das Talent für Beschönigung ist geradezu zur Voraussetzung für eine erfolgreiche politische Karriere geworden.


Je besser einer beschönigen kann, um so höher sein Rang. Wohin soll das führen? Müssen demnächst wirklich gute Techniker in erster Linie gute Beschöniger sein? Zur Anfangsbedeutung des altgriechischen Wortes „techné“ gehörte, wie uns die Altphilologen versichern, neben hoher Handwerklichkeit und geistigem Einfallsreichtum auch die sprachliche „Kunstfertigkeit“ – zur Schönrednerei und Beschönigung scheint da nur ein kleiner Schritt zu sein. Aber wirklich nur scheinbar! Alle Rhetoriker der antiken Polis stellten die höchsten Ansprüche. Doch keiner hätte einem Homer oder Sophokles je Beschönigung vorgeworfen.

Bei den heutigen Literaten ist das leider anders. Die meisten von ihnen kennen den Unterschied zwischen realer Verschönerung und fiktiver Beschönigung, realer rechnischer Verbequemlichung und fiktiver Weltrettung gar nicht mehr. In vielen der gegenwärtig erscheinenden „Romane“ erzählen jüngere Autorinnen davon, wie ihre ersten Liebesabenteuer nicht ganz so geraten, wie sie sich das vorgestellt haben, und sie erzählen das in einem Stil, der den Leser eher an Weltrettung statt an erste Liebe denken läßt. Und die Kritiker nehmen das auf und schreiben ebenfalls nur noch über Welt- oder zumindest Klimarettung.

Wie dozierte einst Oscar Wilde in einem Vortrag an der Oxford Unversity im Jahre 1882  über die Rolle von Autor und Kritiker? „Die Literatur kann kein anderes Ziel denken als sich  selbst und ihre eigene Vollkommenheit; des Kritikers Aufgabe ist es, ihr auch ein soziales Ziel zu schaffen, indem sie die Menschen lehrt, in welchem Geist sie an jedes künstlerische Werk herantreten, wie sie es lieben, wie sie eine Lehre darausziehen sollen.“

Wilde-Kenner sind sich darüber einig, daß der große Sarkastiker diese Stelle nicht anders als operativ-sarkastisch gemeint hat. Die Kunst darf alles, habe er sagen wollen, sie ist wahrhaft frei. Schuld an der Regelung der „sozialen“ Frage hätten allein die Kritiker. Pankraz würde die Künstler nicht so billig davonkommen lasssen. Auch, gerade sie, sollten sich medial einmischen. Dazu braucht es freilich Mut und gutes Wissen.