© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  KG  www.jungefreiheit.de 39/19 / 20. September 2019

Kommunisten unter sich
Geschichtsdrama: Eine kritische Betrachtung des Kinofilms „Und der Zukunft zugewandt“
Dirk Jungnickel

Der Filmtitel „Und der Zukunft zugewandt“ zitiert eine Zeile der ersten Strophe der DDR-Nationalhymne (Text: J. R. Becher) und kann nur ironisch gemeint sein. Insofern erwartet man von Drehbuchautor und Regisseur Bernd Böhlich einen Beitrag zur Aufarbeitung von DDR-Geschichte, wenn man bereit ist näher hin zuschauen, einen Einblick in die Zeit des Kommunismus an sich. Immer ein wichtiges Unterfangen angesichts der Tatsache, daß diese Ideologie bei Unverbesserlichen immer wieder fröhliche Urstände feiert.

Der Plot ist schnell erzählt. Der Prolog schaltet einige Einstellungen vor, die (vermeintlich) im Gulag spielen. Ein alter Mann schleicht sich aus einer Baracke, überwindet einen Zaun, betritt eine andere Baracke und besucht eine Frau mit Baby. Die drängt ihn nach draußen, dort wird er erschossen. Vorher erfahren wir, daß Mörder und Opfer Genossen sind und der Mann seine Tochter zum Geburtstag besuchen wollte. Der Tote wird in der Frauenbaracke abgeworfen. Die Frau begeht einen Selbstmordversuch.

Gulag-Insassen zum Schweigen verdonnert

Die eigentliche Geschichte beginnt mit der Entlassung dreier Gulag-Insassinnen auf Initiative von Stalins Statthalter in der DDR, Präsident Wilhelm

Pieck. Von einem Parteifunktionär werden sie unter Drohungen zum Schweigen über ihre Erlebnisse im Gulag vergattert. Die Protagonistin Antonia (Alexandra Maria Lara) lernt aufgrund der Lungenerkrankung ihrer Tochter deren Arzt (Robert Stadlober) kennen und später lieben. Von der SED korrumpiert mit einer – für damalige Verhältnisse – Traumwohnung, wird sie Chefin eines Kulturhauses in der Provinz. Unter ständiger Beobachtung der Partei inszeniert sie mit Kindern reichlich alberne Auftritte. Ihre Mutter besucht sie erst nach einigen Wochen. Kurzfristig landet sie auch bei der Stasi. Eine Drohgebärde der Partei.

Im letzten Drittel des Films stirbt Stalin, und aus ihrer Mitentlassenen Susanne (Barbara Schnitzler) – ob inzwischen im Westen, bleibt im unklaren – bricht es heraus: Dieser Verbrecher sei endlich tot. Die beiden anderen Gulag-Geschädigten und der Arzt waren in Tränen ausgebrochen. Antonia übergibt dem Arzt ihr Tagebuch, ein Schlüsselerlebnis für ihn, das ihn dazu bewegt, in den Westen zu gehen – ohne die geliebte Antonia. Sie verbrennt sogar ihre Erinnerungen.

Zeitsprung: Mauerfall. Die alte Frau Antonia verkraftet ihn nicht, offensichtlich immer noch gläubige Kommunistin. Sie empfindet Genugtuung, daß ihre Tochter – wohl verstorben? – das nicht miterleben muß.

Ein paar Stalin-Bilder an der Wand genügen nicht Filme, zumal Geschichtsdramen, können und sollten nicht alle Fragen beantworten. Wenn sie entscheidende Fragen ausklammern, dann frustrieren sie den Zuschauer.

Möglich, daß es einzelne Schicksale wie das der Antonia gegeben hat. Man erinnere sich aber an Margarete Buber- Neumann, die ihrem Mann, einem hohen KPD-Funktionär, in den Dreißigern in die Sowjetunion folgte. Der wird „gesäubert“, das heißt von Stalins Schergen hingerichtet. Buber-Neumann landet im Gulag und wird von den Sowjets in der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts mit Hunderten Kommunisten und Antifaschisten an die Nazis ausgeliefert. Im KZ Ravensbrück muß sie fast bis Kriegende weitere Jahre ihrer Gefangenschaft verbringen. Der Kommunismus war für sie allerdings passé. Später im Westen wendet sie sich als SPD-Mitglied gegen die Ostpolitik Willy Brandts. Hier kulminiert Geschichte. Ein großartiger Filmstoff ! (vgl. Margarete Buber-Neumann: „Als Gefangene unter Stalin und Hitler“)

Die Figur Antonia leidet zwar an ihrem Redeverbot. Daß sie dadurch an den Verbrechen des Kommunismus quasi indirekt mitschuldig wird, dürfte nicht jedem Zuschauer einleuchten. Sie wird als tragische Figur etabliert, ihre fatale Hörigkeit und Gläubigkeit werden weder untermauert noch kritisch gesehen.

Meist schweigt sie an entscheidenden Stellen, so wie beim Verhör durch die Stasi. Die Figur wirkt unglaubhaft, und nur mit leidenden rehäugigen Blicken vermag die gestandene Schauspielerin nicht zu überzeugen, zumal sie wohl auch vom Regisseur zu wenig gefordert wird. Manche Einstellungen sind unglücklich inszeniert. Warum sie erst nach Wochen ihre Mutter besucht, bleibt das Geheimnis des Autors. Warum sie ihrer Mutter bei der Wiederbegegnung permanent den Rücken zuwendet, bleibt das Geheimnis des Regisseurs. Zumal die Mutter offenbar noch Kommunistin ist und ein gewisses Verständnis für die Tochter haben müßte.

1952 ist die Hochzeit des Stalinismus in der DDR. Da genügen ein paar Stalin-Bilder an der Wand nicht. Denn da gärt es in der Bevölkerung, und der 17. Juni steht quasi vor der Tür der Geschichte. Die Terror-Prozesse in Waldheim haben kürzlich stattgefunden und wurden nicht geheimgehalten.Todesurteile gegen „Staatsfeinde“ waren an der Tagesordnung. Bekommt Antonia davon nichts mit? Sie ist (angeblich) nur von Stalinisten umgeben, wobei Stefan Kurt in seiner Rolle als „Betreuer“ und Funktionär die einzig wirklich gute und glaubhafte Darstellerleistung des Films abliefert, abgesehen von kleineren Rollen.

Warum die Inszenierungszenen mit den Kindern im Kulturhaus derartig breit angelegt sind, daß man den Einspruch des Oberfunktionärs mit Erleichterung vernimmt, bleibt rätselhaft. Über die Kulturpolitik dieser Zeit (Formalismusdebatte) sagen sie nichts aus. Hier wehrt sich allerdings Antonia einmal zaghaft. Nur einmal!

Eine Schlüsselszene hätte die mit Pieck und dessen Sohn sein können. Arthur Pieck setzt sich für die unschuldigen Genossen im Gulag ein. Die zigtausend deutschen SMT-Verurteilten und Internierten der Sowjets von 1945 bis 1950 in den von ihnen weiterbetriebenen KZs Buchenwald, Sachsenhausen und anderen bleiben tabu. Vor allem auch die unschuldigen „Nichtgenossen“ – viele noch im jugendlichen Alter –, die die Sowjets nach 1945 in den Gulag verschleppten und die zum Teil bis 1955 dort schmorten, finden keine Erwähnung. Die Genossen Stalinisten unter sich! Die entlassenen Frauen müßten in Workuta auf sie getroffen sein. Die meisten Überlebenden sind aus guten Gründen in den Westen gegangen. Im Film ist diese Alternative nicht einmal diskutabel, wobei Antonia – nicht zu vergessen – sogar den Mord an ihrem Mann miterleben „durfte“. Argumentiert wird mit der Bemerkung „Es kann ja nicht alles umsonst gewesen sein“. Angesicht der Leiden im Gulag eine dumme Sprechblase.

Leider sind auch Rechercheschwächen anzumerken. So dürfte auch der KGB auf Antonia und Genossinnen stets ein Auge geworfen haben. Und: Antonia bekommt 1952 einen Fernsehapparat als Schweigetribut von der SED geschenkt, der sogar gleich irgendwie funktioniert. Tatsächlich gab es 1952 gerade mal die ersten Testsendungen. In Ost-Berlin existierten 60 Geräte, in der Provinz war noch gar nicht an Fernsehen zu denken.

Filmdokumentationen mit Zeitzeugenberichten

Die unruhige Kamera (Thomas Plehnert) soll vermutlich Unsicherheit signalisieren, aber weder sie noch das Szenenbild bringen die Atmosphäre Anfang der fünfziger Jahre auf die Leinwand. Der Versuch, die kommunistische Ideologie über das Schicksal der Heldin transparenter zu machen, gelingt nur partiell. Das schwache Drehbuch wirkt sich entsprechend auf das Ergebnis aus. Vor allem weil als Sujet ein absolutes Ausnahmeschicksal gewählt wurde. Selbst wenn die Geschichte authentisch wäre, künstlerische Wahrhaftigkeit, die ein Geschichtsdrama auszeichnen sollte, fehlt ihr leider. Inzwischen sind Bibliotheken gefüllt und Filmdokumentationen erstellt mit Zeitzeugenberichten aus jener Zeit. An Stoffen mangelt es nicht.

Einem Zuschauer ohne zeithistorische Kenntnisse ist der Film nicht abzuraten, möglicherweise verspürt er das Verlangen, sich weiter zu informieren. Dann wäre ihm die Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus in Berlin zu empfehlen. Zum Thema Gulag muß es ja nicht gleich das wichtige Standardwerk von Alexander Solschenizyn „Der Archipel Gulag“ sein, dessen großartige Kurzgeschichte „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ tut es zunächst auch.

Denjenigen, die die Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus schon seit Jahren umtreibt, dürfte die Umsetzung dieses Themas nicht zufriedenstellen. Angesichts des Aufwands handelt es sich leider um eine verschenkte Gelegenheit.

 http://und-der-zukunft-zugewandt-film.de