© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Der rätselhafte Fall des Bakery Jatta
Ungeklärte Identität: Hat der HSV-Profi bei seiner Einreise nach Deutschland falsche Angaben gemacht oder nicht?
Hinrich Rohbohm

Seine Identität gibt Rätsel auf. Ist der HSV-Fußballprofi Bakery Jatta wirklich der, für den er sich ausgibt, oder handelt es sich in Wahrheit um eine Scheinidentität? Es war der 7. August dieses Jahres, als die Sport-Bild mit einem Artikel aufwartete, der Wellen schlagen sollte. Demnach solle es sich bei dem Gambier in Wirklichkeit um einen Spieler namens Bakary Daffeh handeln. Jatta selbst bestreitet das, bekräftigt auch gegenüber seinem Verein ausdrücklich die korrekte Angabe seiner Identität. Und der HSV glaubt ihm, stellt sich hinter seinen Mitarbeiter, der im Juli 2016 einen Profivertrag bei dem hanseatischen Club unterschrieben hatte. 

Für viele ist Bakery Jatta ein modernes Fußballmärchen. Ein Migrant aus Gambia, der das Fußballspielen in den Hinterhöfen der Küstenstadt Gunjur lernte, nie in einem Verein kickte, quer durch Afrika zog, die Sahara und das Mittelmeer durchquerte, um schließlich nach Deutschland zu gelangen. Einer, der hier seine Chance ergriff und sich zum Fußballstar hochkämpfte.

Bezirksamt Hamburg-Mitte stellt Ermittlungen ein

Noch am 1. September schießt Jatta im Zweitliga-Spiel gegen Hannover 96 das Tor zum 3:0. Mannschaft, Medien und Fans umjubeln den Afrikaner, Zweiflern seiner Geschichte wird schon mal Rassismus unterstellt. Einen Tag später stellt auch das Bezirksamt Hamburg-Mitte seine Ermittlungen ein. Jatta kann einen gültigen Reisepaß vorweisen, sein Verein konnte zudem einen Auszug aus seinem Geburtsregister vorlegen, der seine richtige Identität zu bestätigen scheint. 

Doch dann das: Wie nun bekannt wurde, hatte Jatta kurz nach seiner Einreise im Sommer 2015 den Behörden seine E-Mailadresse mitgeteilt. Der Name darin: Bakary Daffeh. Bekannt geworden ist dieses Detail, nachdem das Bremer Sozialzentrum in Gröpelingen/Walle Anfang des Monats Kopien von Jattas Personalbogen bei der Polizei mit dem Hinweis eingereicht hatte, daß es bei diesem Fall große Ungereimtheiten gebe. Einen Tag nachdem das Bezirksamt Hamburg-Mitte erklärt hatte, daß es die Ermittlungen gegen Jatta einstellt. Also doch alles gelogen? „Es ist dazu alles gesagt“, heißt es auf Nachfrage der JF beim HSV inzwischen nur noch genervt. Auch die Fans stehen zum großen Teil hinter Jatta. „Der Mann bringt seine Leistung auf dem Platz und hat sich alles erarbeitet. Man soll ihn jetzt endlich mal in Ruhe lassen“, sagen viele unter ihnen. 

Jatta wird am 6. Juni 1998 in Gunjur/Gambia geboren. Bakary Daffeh am 6. November 1995, ebenfalls in Gunjur. Ein Insider der Hamburger Ausländerbehörde sagt dazu gegenüber der JF: „Bei falschen Identitäten ändern die Personen zumeist nur wenige Parameter. Ein Buchstabe im Namen, ein anderes Geburtsjahr oder nur ein anderer Geburtsmonat sind typische Fälle der Identitätsfälschung, die gehören für uns zum Alltag.“ Daß Jatta seine Identität gefälscht haben könnte, hält er für „sehr wahrscheinlich“. Es sei keine Seltenheit, daß Migranten, die nach Deutschland kommen, ihren Paß entsorgten. Zu „90 Prozent“ würden Asylantragsteller dann falsche Angaben machen. „Der Paß würde ja aufzeigen, woher jemand kommt und daß möglicherweise kein Anspruch für eine Aufenthaltserlaubnis vorliegt.“ 

Doch Bakery Jatta stellte keinen Asylantrag. Er durfte 2015 bleiben, weil er noch minderjährig war. Wäre er Bakary Daffeh, dann wäre er volljährig gewesen, hätte abgeschoben werden können.  Über einen Reisepaß verfügte jedenfalls auch Jatta nicht, als er am 12. Juli 2015 nach Deutschland kommt. Er begibt sich nach Bremen. Ein Bundesland, das in dem zweifelhaften Ruf steht, bei Aufenthaltsbewilligungen großzügig zu verfahren, und Abschiebungen selbst bei offensichtlich unbegründeten Fällen oftmals vermeidet. Wenige Wochen später, am 30. Juli 2015 hat ihn das Bremer Jugendamt vorgeladen, um sein Alter festzustellen. Wo sein Reisepaß sei, wisse er nicht, hatte er dort angegeben. Als Vorname notiert sich das Jugendamt damals noch Bakary statt Bakery. 

Zu diesem Zeitpunkt fehlt von Bakary Daffeh in Gambia jegliche Spur. Vorher noch ein lokaler Fußballstar, der für Gunjur United und für Brikama United kickte, taucht der Spieler nun plötzlich in keinem Spielbericht mehr auf. Auch eine einst von Daffeh existierende Facebook-Seite ist inzwischen gelöscht. Auf der anderen Seite wird der Name Bakery Jatta erst im Sommer 2015 aktenkundig. Zu einem Zeitpunkt also, als sich jegliche Spuren der Existenz von Bakary Daffeh verlieren. Laut transfermarkt.de verläßt Daffeh Brikama United im Juni 2015. Sein letztes Lebenszeichen. Einen Monat, bevor Jatta in Deutschland auftaucht. 

Ebenfalls widersprüchlich: Der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zufolge sei Jatta vom 1. Februar 2014 bis zum 30. Juni 2016 vom gambischen Fußballverband bei Brikama United registriert gewesen. Jenem Verein, für den auch Daffeh zu dieser Zeit noch teilweise spielte. Andererseits hatte Jatta jedoch angegeben, vor seiner Einreise nach Deutschland nie für einen Fußballklub gespielt zu haben. 

Seine Adoptivmutter Kurma Jarju, die Jatta im Alter von sechs Jahren in ihre Familie aufgenommen habe, nachdem dessen Eltern gestorben seien, verfügt weder über Fotos noch Dokumente ihres Adoptivsohnes. Den Namen Bakary Daffeh will sie nie gehört haben. Erst später legt Jatta den Bremer Behörden einen neuen gültigen Reisepaß aus Gambia mit dem Namen Bakery Jatta vor, der sein Geburtsdatum belegt. Wäre er tatsächlich Daffeh und 1995 statt 1998 geboren, so hätte ein Abschiebegrund vorgelegen. 

Daffeh absolvierte Probetraining in Piacenza

Auch die Vermittlung Jattas an eine Bremer Jugendhilfeeinrichtung gibt Rätsel auf. Denn die inzwischen geschlossene Stätte im niedersächsischen Bothel diente vor allem als Eingliederungshilfe für straffällig gewordene und drogenabhängige Jugendliche. War Jatta in seiner kurzen Zeit in Deutschland bereits straffällig geworden oder hatte er Drogenprobleme? Leiter der Jugendstätte war damals der ehemalige Amateurboxer Lothar Kannenberg. Er gilt als Entdecker des Fußballers Bakery Jatta und sagt: „Wir hatten Zweifel, ob er nicht älter als 17 sein könnte.“

Zweifel, die im Januar 2016 offenbar auch nach einem Probetraining beim HSV aufgekommen waren. Untersuchungen im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) hatten ergeben, daß die biologische Entwicklung Jattas bereits abgeschlossen sei. Dennoch teilte der damalige HSV-Sportdirektor Peter Knäbel mit, daß es keine Zweifel am Alter des Gambiers gebe. Doch was ist die Aussage eines Mannes wert, dessen Rucksack in einem Hamburger Park gefunden wurde und dessen Inhalt sensible Daten wie Spielerverträge enthalten hatte? Und möglicherweise waren es nicht nur Spielerverträge, mit denen man seinerzeit äußerst unprofessionell umgegangen war. Angeblich soll der HSV schon damals von der dubiosen Identität Jattas gewußt haben.

 Wir hören uns unter Afrikanern um. In Hamburg ebenso wie in Bremen, kommen auch mit einigen aus Gambia und dem Senegal ins Gespräch. Ja, natürlich kennen sie Jatta, wenn auch nicht persönlich. Ja, sie haben den Wirbel um dessen Person mitbekommen. Ist Jatta und Daffeh ein und die selbe Person? Die Antworten sind Schweigen und Grinsen, Kopfschütteln und Achsel zucken. Nur eine Information ist hilfreich: „In Gunjur kennt sich jeder. Wenn da jemand gut Fußball spielt, kennt man den.“ Und: „Frag doch mal beim FV Ravensburg. Da gibt es jemanden aus Gambia, der ist auch Fußballer.“ 

 Machen wir. Tatsächlich gibt es hier einen Spieler aus Gambia. Sein Name läßt aufhorchen: Omar Jatta. Mit dem HSV-Spieler hat er zwar nichts zu tun. Doch seine Geschichte ähnelt sich. Geboren 1989 in Brikama war Omar Jatta im Jahre 2008 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen und in Ravensburg untergebracht worden. Sollte sein Name Bakary Daffeh für seine falsche Identität inspiriert haben? Als die Stuttgarter Kickers auf Omar Jatta aufmerksam wurden, zog sich sein Wechsel vom FV Ravensburg in die Länge. Der Grund ist interessant: Denn offenbar bringen einige Klubs schon seit längerer Zeit Spieler aus Afrika per Asylverfahren nach Deutschland, um sie dann kostengünstig verpflichten zu können. Eine Methode, die die Fußballverbände unterbinden wollen. Eine, bei der aber auch klamme Vereine in Versuchung geraten könnten. Vielleicht damals auch der HSV? 

 Einen ähnlichen Fall könnte es auch beim einstigen italienischen Drittligisten AS Pro Piacenza gegeben haben, als ein gewisser Bakary Daffeh im Januar 2015 bei dem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Verein ein Probetraining absolviert hatte. Daffehs damaliger Trainer Arnaldo Franzini ist heute für den Lokalrivalen Piacenza Calcio tätig. Als wir den Mitarbeitern auf der Geschäftsstelle des Vereins die Fotos von Bakery Jatta im HSV-Dress zeigen, weiten sich die Augen. Kennen sie ihn? Einer von ihnen ist sich nicht sicher, meint sich an einen Stürmer des Lokalrivalen zu erinnern, bei dem es ebenfalls Probleme mit dem Geburtsdatum gegeben habe. Sowohl Franzini als auch der damalige Manager Riccardo Francani waren bis Redaktionsschluß für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.