© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Brüssel freut sich über Johnsons Schlappe
Großbritannien: Das Durcheinander in der Brexit-Politik auf der Insel erlebt einen neuen Höhepunkt / Zwischen Neuwahlen und Mißtrauensanträgen
Alfred König

Großbritanniens Premier Boris Johnson gerät nach der Entscheidung des Obersten britischen Gerichtshofs, die Zwangspause für das Parlament sei unrechtmäßig, abermals unter Druck. Der Supreme Court hatte am Dienstag einstimming beschlossen, daß die sogenannte Prorogation „rechtswidrig, unwirksam und ohne Auswirkung“ ist, so die Vorsitzende Baroness Brenda Hale. 

Durch eine derart lange Pause wie die vorgesehenen fünf Wochen werde das Parlament davon abgehalten, seine verfassungsmäßige Aufgabe zu erfüllen, nämlich die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Das Gericht hält eine Pause von sechs Tagen für ausreichend, um mit der  Queen’s Speech eine neue Legislaturperiode einzuberufen. Eine längere Dauer blockiere allerdings das Parlament und halte es von seiner verfassungsmäßigen Aufgabe ab. Das Gericht überließ es Parlamentssprecher John Bercow, wann das Unterhaus wieder tagt, der daraufhin die erste Sitzung bereits für Mittwoch mittag gesetzt hatte. Bercow wies darauf hin, daß das Urteil zwar die Verfassung gegenüber unrechtmäßigem Handeln der Regierung stärke, auf den Brexit selber aber keine Auswirkungen habe.  

Während Boris Johnson, der in New York beim UN-Gipfel weilte, seine Forderung nach Neuwahlen erneuerte, forderte Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei den Premierminister zum Rücktritt auf. Auch von allen anderen Oppositionsparteien gab es entsprechende Forderungen. Die Vorsitzende der Liberaldemokraten Jo Swinson meinte, das Urteil zeige, daß Johnson für das Amt nicht geeignet sei und deshalb zurücktreten müsse. 

Erneute Verschiebung des Brexit-Termins möglich 

Unerwartete Hilfe erhielt Johnson dagegen von der wegen Unstimmingkeiten mit ihm Anfang September zurückgetretenen Arbeitsministerin Amber Judd. Ihren Worten zufolge seien dem Kabinett die rechtlichen Hinweise zum Zwangsurlaub des Parlaments nie vorgelegt worden. Nigel Farage von der Brexit-Partei forderte dagegen den Rücktritt von Johnsons engstem Berater Dominic Cummings, der den Premier falsch beraten habe. Johnson hatte schon vor seinem Flug nach New York angekündigt, er werde auch im Fall einer Gerichtsniederlage nicht von seinem Amt zurücktreten. Britischen Medienberichten zufolge soll die Regierung angeblich sogar prüfen, wie das Parlament doch noch suspendiert werden könne.

Von den EU-Verantwortlichen wird die Entscheidung des Supreme Court begrüßt. Es sei eine „große Erleichterung“ zu sehen, daß die Demokratie in Großbritannien noch lebe und das Parlament nicht außen vor gelassen werde, sagte der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments Guy Verhofstadt. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), sprach von einem „guten Tag für die parlamentarische Demokratie“. 

Noch ist unklar, wie es weitergeht: Ein Mißtrauensantrag gegen Johnson würde zwar wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen, aber da die Konservativen über keine Mehrheit im Unterhaus verfügen, wird bei den Tories ein linker Premierminister befürchtet. Eine weitere Möglichkeit sei, bei der EU den Antrag zu stellen, den Brexit-Termin 31. Oktober zu verschieben, um so Neuwahlen oder ein neues Brexit-Refenrendum, oder auch beides, möglich zu machen.