© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Pankraz,
die Bakchen und die goldene Henne


Gleich drei öffentlich-rechtliche Sender (Rundfunk Berlin-Brandenburg, NDR, MDR) übertrugen vergangenes Wochenende gleichzeitig die Verleihung der „Goldenen Henne 2019“ in Leipzig. Ein Staatsereignis ersten Ranges! Dabei ist die „Goldene Henne“ an sich ein ganz harmloses Preislein für aktuelle Fernsehsternchen, benannt nach der („Henne“ genannten) Sängerin und Kabarettistin Helga Hahnemann in der DDR (1937–1991), die mit ihren lustigen Sprüchen niemandem wirklich zu nahe trat und gerade deshalb sowohl im Volk als auch bei der Partei recht beliebt war.

Genau deshalb offensichtlich die jetzige Aufzäumung der Preisverleihung zum kulturellen Großereignis. Offiziell ging es angeblich um die mediale Erinnerung an die deutsche Wiedervereinigung vor dreißig Jahren, was man aber sah und hörte, war der immer wieder praktizierte Versuch, die damaligen Ereignisse gleichsam zu verharmlosen, sie als irgendwie gemütlich erscheinen zu lassen, die gloriose demokratische „samtene Revolution“ von 1989 gewissermaßen von „männlichen“ Helden zu säubern und sie als Werk „weiblicher“ goldener Hennen erscheinen zu lassen.

„Die Demokratie ist weiblich“, vernahm man immer wieder aus dem Mund des Moderators, und im Unterton schwang vernehmbar – und ganz offenbar von den in Berlin herrschenden politisch-medialen Kräften befeuert  – mit: Der böse Populismus, der uns derzeit so zu schaffen macht, ist typisch männlich, gewaltgeneigt, will die herrschenden Kräfte allen Ernstes materiell wegschieben, statt sie im Stil der goldenen Henne buchstäblich wegzulachen, oder genauer: sie so lange zu umlachen, bis sie einfach mitlachen müssen und sich  die Sache in Wohlgefallen auflöst.


Zur selben Zeit spielte sich im Wiener Burgtheater übrigens ein Vorgang ab, der in fast unheimlicher Weise mit den Leipziger Lachfeiern harmonierte. Dort wurden zur Eröffnung der Saison und zum Dienstantritt des neuen Indentanten Martin Kusej die „Bakchen“ von Euripides aufgeführt, jenes berühmte Drama also, das die privilegierte Eignung der Frauen für demokratische Politik bedachtsam anzweifelt und mit schrecklichen Bildern belegt. Die Aufführung unter der Regie von Ulrich Rasche  geriet zur Katastrophe. Der Euripides-Text  wurde gänzlich durch aktuelles Politgebrüll „berichtigt“ und „ersetzt“.

In den Augen von Euripides (wie in den Augen der antiken Polis insgesamt) waren die Frauen als Exekutoren der Demokratie, will sagen: der optimalen Gestaltung und Verwaltung des staatlichen Ganzen, ungeeignet, denn sie folgten nicht dem Gotte Zeus, sondern dem Dionysos, der nur einen – ihm von den anderen Göttern widerwillig eingeräumten – Nebenplatz im Olymp einnahm. Dionysos stand für alles, was jenseits von Staatlichkeit und Gesetzlichkeit lag, für die Freude am Unmittelbaren und Naturgegebenen, für Spontaneität und Ekstatik, Genuß, Weintrinken, eben für die „Dionysien“.

Auch die alten Völker wußten, daß Staatlichkeit und Demokratie nicht alles sind, daß die Welt letztlich ein Geheimnis ist, an das der simple Menschenverstand nicht heranreicht. Und sie wußten auch, daß die Gefühlskraft der Frauen näher an diesem Geheimnis wohnt als die der Männer. Deshalb der große Respekt, ja, die Demut gerade der größten Denker, Sokrates, Platon, vor „weisen, heiligen Frauen“. Andererseits aber gab es die Einsicht, daß die Gefühlskraft der Frauen dem schlichten Wahnsinn viel näher steht als die Kalkülsucht der Männer, daß sie im Durchschnitt eher „durchknallen“, Chaos und Verheerung anrichten.

Just darum dreht sich das Euripides-Drama. Die „Bakchen“ haben sich, wie schon der Name sagt, ganz dem Bachus, einem Untergott des Dionysos, unterworfen, welcher in Menschengestalt  in Theben aufgetaucht ist und sich auf einen zähen Machtkampf mit dem dortigen Fürsten Pentheus eingelassen hat.  Schreckensmeldungen über die beiden Kriegsparteien werden in aller Ausführlichkeit besprochen, Boten berichten dem Pentheus, daß die Bakchantinnen draußen im Land mit wilden Tieren kopulieren und die Felsen schlagen, so daß Wein herausquelle.  Und so weiter und so weiter.


Das Treiben der Bakchantinnen, so wird im Lager von Pentheus verkündet, gehe auch dem Dionysos längst zu weit. Tatsächlich äußert sich dieser immer vernehmbarer äußerst wohlwollend über des Pentheus’ Politik, und der faßt den Entschluß, sich als Frau zu verkleiden und die Orgien höchst persönlich vor Ort zu besichtigen. Doch die Bakchantinnen entdecken ihn auf seinem Hochsitz, stürzen ihn herunter und zerreißen ihn. Seiner Mutter gelingt es irgendwie, sich seinen Kopf anzueignen und ihn nach Theben zurückzubringen. Gott Dionysos aber sagt nun der Stadt alles Üble voraus – und  verschwindet. 

Euripides  (480 v. Chr.–406 v. Chr.) schrieb die „Bakchen“ kurz vor seinem Tod, sie waren sein Vermächtnis, und er gewann damit 405 v. Chr. postum den ersten Preis bei den Tragödienwettbewerben in Athen. Die Theaterbesucher liebten ihn, nicht zuletzt deshalb, weil er es ihrer Meinung nach verstand wie kein anderer, wichtige existentielle Probleme des Alltags in Bühnensprache (das hieß damals Göttersprache) zu fassen. Heute werden solche Probleme auf medialen Massenveranstaltungen im Stil von goldenen Hennen angesprochen, und die Schlußfolgerungen, die daraus entspringen, sind danach.

Will man zur wirklichen, haltbaren Heiterkeit gelangen, braucht man dazu, zumindest zur Einführung und als Präludium, den ernsten Ton. Dazu Euripides (schon in seiner „Alkestis“ von 438 v. Chr. Herakles spricht): „Den Menschen allen verhängt ist des Todes Los, / Und ihrer keinem noch wurde geoffenbart, / Ob nur der Tage nächster ihn am Leben trifft. / Denn dunkel ist, wohin des Schicksals Wege gehn, / Und nicht erlernbar, keine Kunst enthüllt es uns. / Nachdem du dies vernommen und gelernt von mir; / Erheitre dich und trinke …“