© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Befreiung eines Werks aus der Routine
Aufführungswunder im mitteldeutschen Chemiedreieck: Die Weimarer Fassung der „Zauberflöte“ im Goethe-Theater Bad Lauchstädt
Sebastian Hennig

Die Anfahrt zum Kurort Bad Lauchstädt führt durch die Werkstättenlandschaft des mitteldeutschen Chemiedreiecks um Leuna, Schkopau und Merseburg. Eine Stätte der Musen vermutet hier niemand, wo das flache Land weithin überragt wird von den Destillatoren, Rohrleitungen und Schloten. Inmitten dieser Ödnis funkelt wie ein kostbarer Solitär der Badeort mit einem kleinen Theater aus der Goethe-Zeit.

Goethe-Theater heißt es zu Recht, denn der Dichter hat damals ein Sechstel der Bausumme aus eigener Tasche beigesteuert. Später verfiel das Theater und war sogar vom Abriß bedroht. Noch in jüngerer Zeit war der historische Bau und seine Betriebsfähigkeit Anfechtungen ausgesetzt. Inzwischen läßt es Jahr für Jahr mehr Facetten erglänzen. Hausschwamm hatte das Dach besiedelt, welches inzwischen eine frische Kupferbedeckung trägt. Noch ist der Bau eingerüstet, und in den Treppenaufgängen zu den Logen liegen die bloßen Lehmziegel zutage. Gleichwohl wird hier ununterbrochen gespielt

 Neben den Aufführungen zum Händel-Fest Halle und dem Leipziger Bachfest ist ein Höhepunkt des Lauchstädter Theaterbetriebs das seit 2007 hier im Spätsommer stattfindende Festspiel der deutschen Sprache. Dieses Jahr gelangte zum ersten Mal eine eigene Produktion zur Premiere, die auf lebendige Weise die Geschichte des Ortes unterstreicht. Denn wenige Jahre nach der Wiener Uraufführung von Mozarts „Zauberflöte“ wurde das Stück am Weimarer Hoftheater unter der Intendanz Goethes gegeben.

Die Weimarer Fassung in der von Goethe autorisierten Libretto-Überarbeitung seines Schwagers Christian August Vulpius wurde zu einem großen Publikumserfolg und sollte die deutsche Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts bestimmen. Die Inszenierung wurde auch vierzehnmal in der Sommersaison des Hoftheaters in Lauchstädt gegeben.

Während die Weimarer Hofbühne längst dem modernen Bau des Nationaltheaters gewichen ist, hat sich im abgelegenen Badeort das Theatergebäude aus der Entstehungszeit der „Zauberflöte“ erhalten. Während längst wieder die zweiaktige Wiener Uraufführungsfassung durchgesetzt ist, wird nun allein in Lauchstädt auf Grundlage der originalen Regiebücher aus dem Archiv der Weimarer Musikhochschule das deutsche Singspiel in drei Akten nach der Weimarer Fassung von 1794 gegeben. Das originale Aufführungsmaterial und die Partitur der „Zauberflöte“, mit denen das Herzogliche Hoftheater Weimar im August 1794 erstmals die Oper in Lauchstädt aufführte, wurde vom Landesmusikarchiv Thüringen aus Anlaß der Premiere für 48 Stunden als Leihgabe in Bad Lauchstädt präsentiert.

Der Intendant wehrt sich gegen politische Agitation

Der Geschäftsführer der Historischen Kuranlagen, René Schmidt, hat in einer selten gewordenen Verbindung aus künstlerischem Instinkt und hartnäckigem Pragmatismus bislang Beachtliches geleistet mit dem Aufbau der Coswiger Villa Teresa, dem zeitweiligen Wohnort des Klavierfanatikers Eugene d’Albert, zum Kammermusikzentrum und als Krisenmanager der Richard-Wagner-Stätten in Graupa bei Pirna. Das Theaterwunder von Lauchstädt wächst sich nach diesen Stationen zu einem veritablen Lebenswerk aus.

Während viele Kulturschaffende sich rasch von einem Ort zum andern wippen und ihre Intendanzen wie Trophäen sammeln, prägt Schmidt hier ein langfristiges Profil aus. Als er sich im Sommer 2016 politische Agitation durch den Intendanten des Neuen Theaters Halle, Matthias Brenner, verbeten hatte, wurde mit einem Male deutlich, wie politisch paradoxerweise heutzutage das Bestehen auf der weltanschaulichen Neutralität der Kunst geworden ist. Der interne Nachrichtenwechsel gelangte damals als Empörungsvorlage in die Öffentlichkeit. René Schmidt reagiert darauf, wie er es gewohnt ist, indem er auf die künstlerische Qualität und Lebendigkeit seines Spielplans achtet. Die Weimarer „Zauberflöte“ nennt er den „Parsifal von Lauchstädt“, denn „die gibt’s nur hier“.

Doch was zunächst so gewollt spektakulär klingt, erweist sich in der Aufführung als weit mehr denn ein Marketing-Clou in der Manier der üblichen bornierten historischen Aufführungspraxis. Die Musikarchäologie wird hier nicht zum Selbstzweck betrieben. Sie dient der Befreiung eines schönen Werks aus der Aufführungsroutine.

Zu der rätselhaften Kluft zwischen dem progressiven Märchen von Schikaneders Libretto und Mozarts berauschender Musik trägt die Weimarer Fassung von Vulpius ganz überraschende sinnliche Erkenntnisse bei. Die Intimität des kleinen Theaterraums kommt dieser Absicht sehr entgegen. Vulpius hat den freimaurerischen Schablonenmustern manch innige und sinnige Wendung gegeben. Der Vogelfänger schmachtet sein Liebchen mit den Namen der heimischen Vögel an, deren zartes Fleisch damals wohl auch die herzogliche Tafel geziert haben wird. Mit schnurrendem Rrr heißt er Papagena seine Drossel, Lerche und Rohrdommel.

Das Programmheft enthält eine Fülle von Hinweisen

Das Schwarzweiß der Geschichte wird farbig, wenn Sarastro und die Königin der Nacht sich nicht antipodisch fremd bleiben und der verstorbene Nachtkönig ein Bruder Sarastros war. Goethe, der einen Fragment gebliebenen zweiten Teil des Stücks dichtete, drängte darauf, die gesamte Personage zu erhalten. Das Programmheft wartet dazu mit einer gedrängten Fülle von Hinweisen auf. Die Inszenierung von Igor Fowill übernimmt ein bereits vor fünfzig Jahren nach alten Vorlagen rekonstruiertes Bühnenbild und ließ in der gleichen Werkstatt weitere Prospekte herstellen.

Ins Leben gerufen wurde das Festspiel der deutschen Sprache durch die Kammersängerin Edda Moser. Ihren musikalischen Einstand gab sie unter Herbert von Karajan an der Metropolitan Opera in New York als Königin der Nacht in der „Zauberflöte“. Das Rahmenprogramm des kleinen Festpiels umfaßte neben Konzerten und Aufführungen auch ein literarisches Gespräch zwischen Ministerpräsident Reiner Haseloff und dem Schriftsteller Martin Mosebach, das von dem Goethe-Forscher Manfred Osten moderiert wurde. Friedrich Dieckmann stellte Max Slevogts Randzeichnungen zu Mozarts Partituren vor.

Die Weimarer „Zauberflöte“ wird als Tafelsilber des Spielplans nun jedes Jahr zu erleben sein; 2020 wird sie am 15. und 18. Oktober aufgeführt.

Die nächstfolgende Opernvorstellung in Lauchstädt wird am 29. September Mozarts „Così fan tutte“ in der bildkräftigen Inszenierung von Axel Köhler sein, der gerade das Rektorat der Dresdner Musikhochschule übernommen hat.

Kontakt: Historische Kuranlagen & Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH, Parkstraße 18, 06246 Goethestadt Bad Lauchstädt. Telefon: 03 46 35 / 782 - 0

 www.goethe-theater.com