© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Pseudowissenschaftliche Deutungen des „Populismus“
Rückwärtsgewandte Wutbürger
(ob)

Je näher Zeithistoriker an die Gegenwart heranrücken, desto gewisser löst sich die Grenze auf, die Wissenschaft von Agitation trennt. Eine Regel, die einmal mehr die Behandlung des Schwerpunktes „Rechtspopulismus in westlichen Demokratien“ in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte (3/2019) bestätigt. Denn die Beiträge zu Deutschland, Italien, Frankreich, den Niederlanden und den USA kommen über in den Leitmedien reproduzierte Klischees kaum hinaus. So sieht die Soziologin Karin Priester (Münster) mit Blick auf die „Fundamentalopposition“ des AfD-„Flügels“ um Björn Höcke und seiner „rechtsintellektuellen Stichwortgeber“ eine „Wiederkehr des Verdrängten“, nachdem der deutsche Konservatismus als NS-„Steigbügelhalter“ als diskreditiert galt. Die Historikerin Ursula Prutsch (München) nimmt Donald Trumps US-Präsidentschaft zwar als „Reaktion auf neoliberale Politiken“ wahr, glaubt dennoch, sie als letztlich erfolglosen Widerstand „rückwärtsgewandter“ und abgehängter „Wutbürger“ abtun zu dürfen. Ähnlich weltfremd blickt die Politologin Ronja Kempin (Berlin) nach Frankreich. In ihrer Unlogik ist es nicht etwa die Massenmigrations- oder die Sozialabbaupolitik der „Eliten“, die sie korrekt als desaströs beschreibt, sondern Marine Le Pens Rassemblement National, der darauf reagiert und so die „politische Stabilität Frankreichs gefährdet“. 


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