© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/19 / 27. September 2019

Liebevoll durchgefüttert und dann massakriert
Der alljährliche Vogelmassenmord im EU-Mittelmeerraum beginnt / Politische Rückendeckung
Dieter Menke

Deutsche Vogelfreunde investieren Zeit und Geld, um in ihren Gärten die von Naturschutzverbänden angemahnte „Sommerfütterung“ zu gewährleisten. Um jetzt Stare, Finken, Meisen, Singdrosseln und Amseln zu verabschieden, die sich wie in jedem Herbst auf den langen Weg in südliche Gefilde begeben. Für Millionen von ihnen ist das allerdings eine Reise ohne Wiederkehr. Entweder erreichen sie ihre afrikanischen Überwinterungszonen nicht, oder sie scheitern im nächsten Frühjahr, wenn sie von dort aus ihre hiesigen Brutgebiete ansteuern.

Regionale Delikatesse für zahlungskräftige Gourmets

Tödliche Hindernisse finden sich im Mittelmeerraum, auf den Zugvogelrastplätzen Zyperns, Maltas, Siziliens oder Sardiniens. In diesen Regenerationsoasen erwarten sie Fangnetze, Leimruten und elektronische Vogelstimmen-Lockanlagen, die Tausende professioneller Vogelkiller dort installieren. Die größte Todesfalle findet sich auf EU-Territorium: an der Südostküste Zyperns. Dort sind während der Vogelzugzeiten geschätzt 16.000 Leimruten in Büschen und Bäumen versteckt sowie 1.600 Fangnetze aufgespannt.

2.200 aktive Vogelfänger sind unterwegs, um die Beute einzusammeln und sie auf dem Schwarzmarkt als regionale Delikatesse an die dortige Gastronomie zu verhökern. Etwa 800.000 Singvögel verenden jährlich an den klebrigen Ruten der Tierquäler, wo sie entweder mit jedem Flügelschlag, mit dem sie sich befreien wollen, tiefer in den Leim geraten und ersticken, oder Vogelwilderer sie mittels eines durch den Schnabel ins Gehirn gestoßenen Zahnstochers töten.

Eine weitere Million, umfassend Mönch- und Gartengrasmücken, Singdrossel, Laubsänger, Rotkehlchen sowie „sonstige Arten“ (230.000 Tiere), verfängt sich, angelockt von Vogelstimmen-Anlagen, in feinmaschigen Nylonnetzen. Eine Fangmethode, die laut der Vogelschutzrichtlinie von 1979 streng verboten ist, die aber der griechische Teil Zyperns, seit 2004 EU-Mitglied, faktisch nicht umgesetzt hat. Alle Innenminister von rechts bis links haben Interventionsversuche ausländischer Tierschützer als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ zurückgewiesen. Im August vollzog nun auch die von der rechten Lega geführte Provinzregierung der Lombardei eine Wende in der Naturschutzpolitik, indem sie den Vogelfang mit Netzen wieder genehmigte. Das norditalienische Plazet gilt für 24 Großfanganlagen, bestückt mit etwa 12.000 Amseln und Drosseln als Lockvögeln.

Die kräftigste „Einmischung“ in diese südländische Praxis der Massentötung zumeist auf Roten Listen figurierender Vogelarten erfolgt seit Jahren aus Deutschland. Nicht von der Berliner Politik, sondern von zwei Exponenten der vielzitierten Zivilgesellschaft, dem 1975 gegründeten „Komitee gegen den Vogelmord“ (Cabs) und der Bielefelder Stiftung Pro Artenvielfalt, die seit 2008 besteht. Beide treten alljährlich zusammen auf dem „Kampfplatz Zypern“ an, um Wilderern das Handwerk zu legen. Auch in diesem Herbst stehen 24 ehrenamtliche Helfer bereit, um gegen das kriminelle Treiben vorzugehen. Sie werden, wie die Bielefelder ankündigen, bis Anfang November wieder täglich in strapaziösen Nacht- und Tageinsätzen die etwa 300 ihnen bekannten Fangplätze kontrollieren, Netze und Leimruten den zuständigen Polizeistationen melden, oder falls möglich selbst abbauen.

Die Teilnehmer an solchen „Vogelschutzcamps“ befreien im Frühjahr und Herbst jeweils Hunderte von Tieren aus ihren Fallen und bewahren Hunderttausende davor, überhaupt in sie hineinzugeraten. Was für die Vogelfreunde nicht ohne Risiko ist. Zuletzt meldete das Cabs am 10. September, daß Schrotkugeln die im Einsatzgebiet abgestellten Autos seiner Helfer durchsiebten – zu Abschreckungszwecken.

Zerstochene Reifen, eingeschlagene Fenster, tätliche Angriffe mit Knüppeln und Eisenstangen, Warnschüsse in die Luft und halsbrecherische Verfolgungsfahrten über unwegsame Schotterpisten bis vor die Tore rettender Polizeistationen gehören seit langem zum Alltag der deutschen Vogelschutzaktivisten. Die sich jedoch nur auf die örtliche Polizei und Wildhüter verlassen können. Die offizielle zypriotische Anti-Wilderer-Polizei, eine Art Ranger-Truppe, die nur Brüsseler Bürokraten beeindrucken soll, verweigert ihnen – politisch gewollt – seit 2016 jede Unterstützung.

Fortschritte auf dem „Kampfplatz Sardinien“

Ungeachtet dieser Widerstände glauben die ausschließlich von Spenden finanzierten Aktivisten, auf Zypern soeben erste Früchte langjähriger Anstrengungen zu ernten. Die Zahl der Zugvogelfangplätze und Leimruten habe man erstmals in diesem Frühjahr auf ein „minimales Maß“ reduziert. Solle dies so bleiben, müsse man aber zukünftig an Ort und Stelle in gleicher Stärke präsent bleiben, was jährlich einen Aufwand von 110.000 Euro erfordere. Das wäre ein relativ bescheidener Aufwand im Vergleich mit dem sizilianischen Frontabschnitt des Kampfes um die Sicherheit der Zugvogelrouten.

Mit drei Millionen Euro aus Spendenmitteln erwarb die Stiftung Pro Artenvielfalt 2013 ein 420 Hektar umfassendes, zwei Süßwasserlagunen einschließendes Feuchtgebiet im Südosten Siziliens, nahe der Hafenstadt Pozzallo. Grundstücksspekulationen, schwere Eingriffe in den Wasserhaushalt, illegale Müllentsorgungen und unkontrollierter Einsatz von Agrarchemikalien hatte das Umfeld in einen gesetzesfreien Raum verwandelt, der zum Eldorado für Vogelfänger, auf Enten, Reiher und sogar Flamingos ansitzende Jagdtouristen und Fischwilderer geworden war und damit seine Bedeutung als „wichtiger Zugvogel-Hotspot“ verloren hatte. Der Kauf durch die Stiftung machte aus diesem „Vogelschußgebiet“ ein von Ehrenamtlichen gut bewachtes Zugvogelschutzgebiet mit inzwischen wieder 230 dokumentierten Vogelarten, davon die Hälfte durchziehende Gäste.

Erfreuliche Fortschritte registriert die Stiftung auf dem „Kampfplatz Sardinien“, wo immer noch 100.000 Zugvögel, zumeist Singdrosseln, Amseln, Rotkehlchen und die schönen, bunten Stieglitze in Schlingenfallen enden. Der Kaufpreis für einen Singvogelspieß mit acht Drosseln liegt bei 80 Euro, so daß sich das Wilderergeschäft lohnt. Freilich nur im Süden Sardiniens, wo sich die wenigen Fanggebiete befinden, die nach dem energischen Engagement deutscher und italienischer Vogelschützer übriggeblieben sind.

Trüber sieht es derzeit bei einem anderen EU-Mitglied aus. Denn auf Malta und der Schwesterinsel Gozo schrecken Hotelgäste im Frühling und Herbst nach wie vor in den frühen Morgenstunden aus dem Schlummer, geweckt von massivem Gewehrfeuer. 15.000 lizenzierte Jäger legen an auf streng geschützte Wespenbussarde, Rohr- und Wiesenweihen, Fischadler und Falken. Und zwar aus Spaß an der Freude, „aus purer Lust am Schießen“. Etwa 3.000 lizenzierte Vogelfänger frönen lieber ihrer Profitgier: Sie gehen auf Schlagnetz-Fallenfang und stellen seltenen Watvogel-Arten wie Goldregenpfeifern und Strandläufern nach. Auch sie kümmern sich wenig um Brüsseler Gesetze. Obwohl etwa der Europäische Gerichtshof in einem Urteil vom 21. Juni 2018 den Netzfang von Finkenarten wie den Stieglitz für die Käfig- und Volierenhaltung verboten hat.

Komitee gegen den Vogelmord e.V. – Committee Against Bird Slaughter (Cabs):  www.komitee.de