© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Lesereinspruch

Verlogene Diskussion

Zu: „Haben wir noch ein Recht auf Leben?“ von Christian Rudolf (JF 39/19)

Verbittert sagte meine Tierärztin: „Denen darf man wenigstens helfen“, als sie unserer nach langem, glücklichem Katzenleben alt und schwerkrank gewordenen Katze die erlösende Spritze gab. Die Diskussion über Sterbehilfe auch für Menschen ist verlogen. Sie wird einerseits durch das NS-Totschlagargument, andererseits durch den Hinweis auf angeblichen Druck Dritter, die sich entlasten (oder erben) wollen, verfälscht. Es ist auch unzulässig, Abtreibung und Euthanasie gleichzusetzen: Das ungeborene Kind wird nicht gefragt, ob es das Licht der Welt erblicken möchte, während Sterbehilfe nur auf ausdücklichen Wunsch möglich ist. Unser „Rechtsstaat“ stellt die Dinge auf den Kopf, indem er Abteibung erlaubt und Sterbehilfe verfolgt. Katholisch aufgewachsen, nehme ich die Einwände der Religion durchaus ernst: Müssen wir das Leid nicht in der Nachfolge Christi auf uns nehmen? Doch ohne jeden Spott: Wer das bejaht, dürfte eigentlich auch bei Zahnschmerz nicht zum Zahnarzt gehen. Die Frage nach der Sterbehilfe ist vielschichtig – und die Keule des Strafrechts gewiß die falsche Antwort.

Dr. Michael Gies, Stegaurach