© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Ablage B
Bye-bye, Bundesbeauftragter: Die Unterlagen des früheren DDR-Staatssicherheitsdienstes wandern endgültig ins Bundesarchiv
Jörg Kürschner

Die SPD-Bundestagsfraktion kann sich zufrieden die Hände reiben. Im dritten Anlauf ist es ihr gelungen, die Verbrechen der SED-Diktatur ins Bundesarchiv zu entsorgen. Jahrzehnte hat die SPD unermüdlich ihren Koalitionspartner CDU/CSU bearbeitet und konnte jetzt auch noch die oppositionelle FDP breitschlagen, die Hinterlassenschaften des DDR-Staatssicherheitsdienstes  ab 2021 in Koblenz zu verwalten. „Zukunftsfest machen“ ist die Chiffre des Koalitionsvertrages für die Auflösung der Stasiunterlagenbehörde des Bundes (BStU). Nur die AfD-Fraktion hat gegen das Gesetz gestimmt, Grüne und Linke haben sich enthalten. Gegen die Stimmen der Linken wurde die Frist zur Überprüfung auf eine frühere Stasi-Tätigkeit bis Ende 2030 verlängert.

Rückblende. 2004, gerade mal 15 Jahre nach der friedlichen Revolution, unternahm die rot-grüne Bundesregierung einen ersten Versuch, die Berliner Behörde aufzulösen. In engem Schulterschluß mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) präsentierte die Bundesbeauftragte für Kultur, Christina Weiss, ein Konzept, das eine Integration der BStU ins Bundesarchiv bis 2010 vorsah. Aufgrund der Proteste der Opposition, aber auch der Opferverbände rückte sie rasch von ihrem Vorhaben ab und setzte eine Expertenkommission ein. Wie erwartet, bestätigte diese die rot-grünen Überführungspläne. Doch die vorgezogenen Neuwahlen machten der SPD-Linken einen Strich durch die Rechnung.

In der Großen Koalition fiel der Posten des Kulturstaatsministers an die CDU. Weiss-Nachfolger Bernd Neumann versenkte das Kommissionspapier, dessen Stellvertreter und zuständiger Abteilungsleiter Hermann Schäfer stärkte vielmehr die Opfer der SED-Diktatur, intensivierte etwa den Kontakt zur Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und dessen Direktor Hubertus Knabe. Bis 2013 gab die SPD Ruhe, hielt aber auch in der Opposition an ihrer Kommission fest. Wiedervorlage im Koalitionsvertrag mit der Union 2013. Und siehe da, die Experten sprachen sich wiederum für die Abschaffung der Behörde bis spätestens 2021 aus. Mit einer Ausnahme. Die Kritik der einzigen Ex-Bürgerrechtlerin, Hildigund Neubert (CDU) in der Kommission, fiel vernichtend aus: „Es lief von Anfang an auf die Abschaffung hinaus ... Da sollen Koalitionshindernisse beseitigt werden. In Berlin, im Bund, in anderen Ländern. Das ist die Botschaft, die dahintersteht: Es war doch alles gar nicht so schlimm.“ 

Dieser Eindruck drängt sich drei Jahre später auch dem AfD-Bildungspolitiker Götz Frömming auf. Die Behörde solle aufgelöst werden, „um insbesondere der CDU neue Koalitionsmöglichkeiten links der Mitte zu eröffnen, die sie ja dringend braucht“, betonte er am vergangenen Donnerstag im Bundestag. Gemeint sind die Lockerungsübungen einiger CDU-Landesverbände gegenüber der Linkspartei, um die AfD parlamentarisch zu isolieren.

Ein Hungerstreik beherzter Bürgerrechtler

Neuberts eindringlicher Appell wurde seinerzeit in der Unionsfraktion ernst genommen, die Auflösung der Behörde vertagt. Drei Jahre später ist ihr Widerstand Geschichte. „Die Union gibt jedes Thema auf, das ist nicht das einzige“, beklagte die langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach und heutige Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung auf einer von der AfD-Bundestagsfraktion initiierten Podiumsdiskussion. So wurde der Appell von über 60 ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern („Geschichte läßt sich nicht abwickeln“), darunter die frühere BStU-Chefin Marianne Birthler, in der Bundestagsdebatte von der Koalition erst gar nicht erwähnt. Ausgerechnet im 30. Jahr nach Mauerfall und friedlicher Revolution wird nun das Symbol des Widerstands in das Bundesarchiv eingegliedert, was beherzte Bürgerrechtler mittels Hungerstreik im Herbst 1990 verhindert hatten. Heute wird die Abwicklung der Behörde mit einer „zügigen Digitalisierung von Akten, Foto-, Ton- und Filmdokumenten“ begründet, so daß „die Einsicht in die Stasi-Unterlagen nicht mehr an bestimmte Orte gebunden ist“, wie es in dem von den beiden Behördenchefs Roland Jahn (BStU) und Michael Hollmann (Bundesarchiv) erarbeiteten Konzept heißt. So wird auch die perspektivisch in Aussicht genommene Reduzierung der derzeit 12 auf 5 BStU-Außenstellen in Ostdeutschland gerechtfertigt. Insgesamt müssen ca. 111 Kilometer Stasiakten, 1,8 Millionen Fotos, 2.800 Filme und knapp 16.000 Säcke zerrissener Unterlagen bearbeitet werden. Räumlich soll in Berlin für die Aktenberge ein „Archivzentrum und ein Kompetenzzentrum für Digitalisierung“ entstehen, in Koblenz steht der „Grundstein für die zukünftige Nutzung der Stasi-Unterlagen“, obwohl das Bundesarchiv als personell schlecht ausgestattet gilt.

Neben allen behaupteten „Synergieeffekten“ geht es der Bundesregierung insbesondere aber um eine dienstrechtliche Revision der Position des BStU-Chefs. „Der unabhängige Bundesbeauftragte entfällt, sein Nachfolger wird ein weisungsabhängiger Beamter“, bringt es der AfD-Kulturpolitiker Marc Jongen auf den Punkt. Die Bürgerrechtler befürchten in ihrem Appell, die Behördenauskünfte könnten sich künftig an „politischen Interessen“ ausrichten. Seit einiger Zeit wird spekuliert, Jahn selbst wolle den neuen Posten übernehmen. Eine naheliegende Überlegung etwa für Knabe, da Jahn „selbst dafür plädiert, sein Amt abzuwickeln“. Dem ehemaligen Direktor  der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen war 2018 unter aktiver Mithilfe führender CDU-Politiker gekündigt worden. Jahn, ein einstiger Bürgerrechtler, war 2011 vom Bundestag gewählt und 2016 nach kontroverser Debatte in der Großen Koalition wiedergewählt worden; seine Amtszeit endet 2021 genau mit der Überführung ins Bundesarchiv. Eine „Jobsicherungsmaßnahme“, kommentierte Steinbach lakonisch die Behörden-Verlagerung. Jahn selbst schweigt beharrlich zu den Spekulationen.