© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Die Qual der Wahl
Österreich: Während SPÖ und FPÖ erst einmal die Wunden lecken, machen Grüne und Neos dem Wahlsieger Kurz bereits Avancen
Curd-Torsten Weick

Gespanntes Warten in der ÖVP-Wahlkampfzentrale. Dann hallt es durch den prallgefüllten Saal: „Der strahlende Sieger des heutigen Abends“. DJ Aviciis „Heaven“ dröhnt im Hintergrund, als ÖVP-Chef Sebastian Kurz dann guter Dinge das Podium erklimmt und ruft: „Ich bin überwältigt und fast sprachlos.“ Man sei als Bundesregierung im Mai abgewählt worden. Es seien vier schwere Monate gewesen – „doch heute“ habe die „Bevölkerung uns zurückgewählt“. 

Die FPÖ will sich nun neu erfinden

Allein regieren kann die ÖVP jedoch nicht. Kurz hat die Qual der Wahl. Doch läßt er sich Zeit. „Ich will noch nicht spekulieren“: Mit diesen Worten verwehrte sich Wahlsieger Kurz im Kleine Zeitung-Wahlstudio allen Kommentaren zu möglichen Koalitionen. Allein schon vor dem Hintergrund, daß erstmals bei der Nationalratswahl mehr als eine Million Briefwahlkarten beantragt worden waren. Die endgültige Mandatsverteilung war daher noch lange offen.

Doch gerade die vor der Wahl ins Spiel gebrachten möglichen Koalitionspartner lecken erst einmal ihre Wunden. Die SPÖ hat mit knapp 22 Prozent ihr bis dato schlechtestes Bundeswahlergebnis, bei der EU-Wahl im Mai (23,9 Prozent), noch weiter unterboten. Doch trotz des historischen Wahldebakels sah es am Montag danach aus, daß Parteichefin Pamela Rendi-Wagner weitermachen darf. 

Anders sieht es bei der FPÖ aus, die unter Führung von Heinz-Christian Strache knapp 15 Jahre lang von Wahlsieg zu Wahlsieg eilte. Hatten die Freiheitlichen mit einem Erreichen der 20-Prozent-Marke gehofft, nach dem Ibiza-Debakel mit einem blauen Auge davonzukommen, schlug das Ergebnis von 17 Prozent ein wie eine Bombe.

FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer („Die letzten Tage zählen zu den schlimmsten in meinem Leben“) hatte bereits vor dem Urnengang geahnt, daß Straches „Spesenaffäre“ oder sein aus „Sicherheitsgründen“ von der FPÖ finanzierter Gartenzaun weiter Mißtrauen sähen und Prozentpunkte kosten würden.

Hofer bat um Geduld, die Aufarbeitung dieser Vorwürfe in Ruhe abzuwarten und sich davon bei der Wahlentscheidung nicht negativ beeinflussen zu lassen.  

Doch es half nichts. Noch am Wahl-abend betonte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, Opfer eines „ordentlichen Gewitters“ geworden zu sein. Zwar lobte er das Tandem Norbert Hofer/Herbert Kickl als „perfekte Doppelspitze“. Dennoch brauche die FPÖ einen Neustart. „Neue Gesichter“ müßten „verantwortungsvolle Rollen“ spielen, so Vilimsky weiter, dies umzusetzen brauche jedoch Wochen. Einen Auftrag zur Regierungsbildung mit der ÖVP habe man vom Wähler nicht erhalten.

In der FPÖ wird vor allem die Kritik an Strache laut. „Hätte Strache nach ‘Ibiza’ das gleiche getan wie Gudenus, wäre uns das erspart geblieben“, zitierte die österreichische Presseagentur Apa den niederösterreichischen FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl. Gudenus war direkt nach dem „Ibiza-Skandal“ aus der Partei ausgetreten und hatte sich im Wahlkampf nicht zu Wort gemeldet. Nach weiteren Informationen der Apa habe sich der steirische Parteichef Mario Kunasek als erster offen für den Parteiausschluß Straches ausgeprochen, sollten sich die Vorwürfe in der Spesenaffäre erhärten. „Wenn das stimmt, sehe ich keine andere Möglichkeit. So leid es mir tut“, so der ehemalige Verteidigungsminister. 

Dagegen feierte Grünen-Chef Werner Kogler („Wir müssen auch im Wirtshaus überzeugen“) den fulminanten Wiedereinzug der Grünen ins Parlament. In der Wahlkampfzentrale der Grünen im Wiener „Metropol“ bejubelte der 57jährige zu den Klängen von Queens  „Don’t Stop Me Now“ seinen  „Sunday for Future“. Gegenüber dem ORF beschwor Grünen-Wahlkampfleiter Thimo Fiesel den „historischen Abend für die österreichischen Grünen, das ist das größte politische Comeback der Zweiten Republik“. 

Zu Gesprächen sei man bereit, doch habe sich inhaltlich zwischen den Grünen und der ÖVP nichts geändert. In erster Linie sei nun die ÖVP unter Kurz am Zug, erinnerte er. Zuvor hatte Kogler bereits Wegmarken einer möglichen türkis-grünen Zusammenarbeit gesetzt: „Was war eigentlich so ordentlich an der Mitte-Rechts-Politik?“ 

Die Grünen haben gut lachen. Denn sie sind so stark gewachsen, daß es für eine Zweier-Koalition mit der ÖVP reichen würde, ganz ohne die liberalen Neos, die sich offen für Koalitionsgespräche zeigten.