© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Das Minuszinsverbot und die „Opfermentalität“ der Banken
Auf das falsche Pferd gesetzt
Joachim Starbatty

Die EZB überschwemmt die Märkte mit Liquidität und nimmt Banken sowie Versicherungen ihre traditionellen Geschäftsfelder. Die Minuszinsen in Höhe von 0,5 Prozent, bei Anlage ihrer Gelder bei der EZB, läßt deren Margen schrumpfen und treibt sie in riskante Kreditgeschäfte, weil auf ihrem angestammten Geschäftsfeld, Ankauf von Staatsanleihen, nichts mehr zu holen ist. Erste Banken überlegen, ob sie die Minuszinsen an ihre Kunden weitergeben oder nach Kompensation auf anderen Feldern suchen sollen. SPD-Finanzminister Olaf Scholz läßt prüfen, ob und wie er das unterbinden kann. Das ist typisch für unsere Politiker: Sie lassen EZB-Chef Mario Draghi gewähren und wollen die Konsequenzen seiner Politik nicht wahrhaben.

Die Experten werden Scholz klarmachen, daß ein solcher Eingriff in die unternehmerische Dispositionsfreiheit marktwirtschaftlichen Prinzipien widerspricht und einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten wird. Ansonsten könnte sich ja jeder Minister in die Kostenrechnung eines Unternehmens einschalten, wenn diese zusätzliche Kosten an ihre Abnehmer weitergeben wollen. Draghi hätte gegen die Absichten der Banken wohl nichts einzuwenden, wenn sich deswegen Bürger vom Sparen ab- und dem Konsum zuwenden.

Jüngst hat Felix Hufeld, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), führenden Vertretern der Bankenindustrie gehörig die Leviten gelesen: Sie würden die Schwierigkeiten ihrer Branche primär aus der Attitüde der „Opfermentalität“ beurteilen. Wäre die deutsche Industrie im Realbereich den Herausforderungen der Globalisierung mit dieser Attitüde begegnet, so sähe es in Deutschland schlimmer aus. Offensichtlich vermißt der Chef der BaFin unternehmerische Bankiers vom Schumpeter-Typus, die über risikoreiche Innovationen ihre Branche umkrempeln. Man sollte dem hochbezahlten Beamten der Finanzaufsicht die Erkenntnis unseres Dichterfürsten Friedrich Schiller nahebringen: „Vom sichern Port läßt sich’s gemächlich raten.“

Ein Außenstehender kann den Vertretern der Bankenindustrie nicht sagen, wo es in Zukunft in ihren Häusern langgehen sollte. Doch der Niedergang der deutschen Großbanken hat schon vor Draghis Geldschwemme begonnen. Sie hätten Zeit und auch die Expertise gehabt oder sich beschaffen können, um die Differenzen zwischen Blühen und Verwelken herauszufinden. Da haben deren Vorstände wohl einiges versäumt oder auf das falsche Pferd gesetzt.

Ein zuverlässiges Urteil können sich nur Insider erlauben. Was wir jedoch beobachten konnten: Unsere Banker haben sich auch während des Niedergangs der ihnen anvertrauten Banken die Taschen vollgestopft. Das mag nicht rechtswidrig gewesen sein, aber unanständig war es in jedem Fall.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war Abgeordneter des EU-Parlaments.