© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Zeitschriftenkritik: Land & Berge
Beim Wandern den Alltag ausblenden
Werner Olles

Weitwanderwege sind nicht jedermanns Sache, aber die herrlichen Ausflüge im einsamsten Thüringen, in der Lüneburger Heide oder im lieblichen Mostviertel rund um den Ötscher, den „Grand Canyon“ Österreichs, die in der aktuellen Ausgabe (Sept./Okt. 2019) von Land & Berge dem Leser präsentiert werden, sind echte Natur- und Kulturerlebnisse. Wenn beispielsweise der Herbst sein üppiges Gold über den Naturpark Karwendel ausschüttet und mit dem blitzklaren Tiroler Alpenhimmel um die Wette strahlt, geht selbst dem überzeugtesten Großstädter das Herz auf. Vor allem bremst schon bald das leidige Gedankenkarussell mit all seinen Sorgen und Problemen, wenn man sich auf längere Touren einläßt und eine Woche durch die Heideblüte auf dem Heidschnuckenweg verbringt. Dieser führt in 13 Etappen durch eine verzauberte Landschaft, deren unglaubliche Ruhe die Wanderer immer wieder erstaunt, die aus ganz Deutschland kommen. Weite Teile der Lüneburger Heide sind bereits seit 1926 autofrei, auch Gasthöfe liegen mitten im Nichts und sind nur per Kutsche oder zu Fuß zu erreichen.

Eine Alpenüberquerung mit maximal 15 Kilometern pro Tag als einwöchige Tour zählt zu den klassischen Weitwanderungen. Auf der Zugspitze erwarten den Wanderer großartige Rundumblicke bis in die Bernina und zum Großglockner, bei Meran die fast mediterran anmutenden Waalwege und auf der letzten Etappe nach Bozen ein gigantischer Blick in die Dolomiten.

Beim Jakobsweg denkt man unwillkürlich an Santiago de Compostela, doch gibt es auch in Deutschland reizvolle Teilstrecken, die mit Wasserfällen und Kapellen die Alltagshektik ausblenden. Der Münchner Jakobsweg führt auf den Hohen Peißenberg mit seinem strahlenden Barock und einer großartigen Aussicht. Die Wieskirche ist eine der berühmtesten Rokokokirchen der Welt und Unesco-Welterbe und gehört schon deshalb zu der lohnenden Pilgerwanderung. Und wer schließlich den Auerberg erklommen hat, darf sich bei der Kirche St. Georg den Beweis in den Pilgerpaß stempeln lassen. Im oberen Zemmgrund steht stolz die Berliner Hütte, umgeben von mehreren Dreitausendergipfeln. Sie ist nicht nur die größte Schutzhütte Tirols, sondern auch die schönste. Seit 1912 verkörpert sie nicht nur ein Stück Berlin in den Alpen, sondern spiegelt auch Glanz und Größe der Kaiserzeit. Vor 140 Jahren als erste Schutzhütte in den Zillertaler Alpen eröffnet, läutete sie dort eine neue Ära ein, denn die Pioniere des Alpinismus waren gleichzeitig die ersten Touristen. Der Fremdenverkehr wurde zu einem willkommenen Zusatzverdienst für die Bergbauern. Mit ihren vielen Anbauten, den Erkern und Vordächern gleicht die Berliner Hütte einem Herrenhaus oder einer Trutzburg. Die Atmosphäre der denkmalgeschützten Hütte versetzt Wanderer immer wieder in Staunen, vor allem der fünf Meter hohe Speisesaal mit seinen hölzernen Kronleuchtern. Da schmeckt der Kaiserschmarren gleich doppelt so gut.

Kontakt: LV-Publikumsmedien, 48084 Münster. Das Einzelheft kostet 4,20 Euro, ein Jahresabo 22,80 Euro. 

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