© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Wenn die alte Haut nicht mehr paßt
Schwieriger Ablösungsprozeß: Der israelische Regisseur Guy Nattiv erzählt in „Skin“ die Geschichte eines Szeneaussteigers
Dietmar Mehrens

Jamie Bell wurde bekannt als „Billy Elliot“, der Junge, der unbedingt tanzen wollte. In diesem Film tanzt er vor allem nach der Pfeife von rechtsextremen Gewalttätern. Er verkörpert Bryon Widner, einen jungen Mann mit schwerer Kindheit: Beide Eltern waren Alkoholiker. Erst in der Obhut von Shareen und Fred Krager fand Widner Halt. Doch auch das neue Heim hat einen Haken, genauer gesagt: ein Hakenkreuz. Karger ist Rädelsführer einer rechtsradikalen Gruppierung, die Anschläge gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe verübt. Er rekrutiert Menschen wie Bryon, um aus ihnen Extremisten zu machen.

Die Verfilmung einer wahren Geschichte läßt deutliche Anleihen bei „American History X“ erkennen. In dem preisgekrönten Drama mimte Edward Norton den tätowierten Skinhead, der sich vom Saulus zum Paulus wandelt. Auch Bryon versucht sich aus dem rechtsradikalen Sumpf freizukämpfen. Ansporn ist ihm dabei die Zuneigung zu Julie (Danielle MacDonald), einer jungen Frau mit drei Töchtern, die Bryon ebenso ans Herz wachsen wie ihre Mutter. Mit Hilfe des altruistischen Menschenrechtsaktivisten Jenkins (Mike Colter), der sich zum Ziel gesetzt hat, aus „Müll“ wieder „menschliche Wesen“ zu machen, wagt Bryon den Ausstieg aus der gewaltbereiten Szene. Doch er merkt, zu seinem Leidwesen, bald, daß man dort zusammenhält – und so gefährlich ist wie ein Mafia-Clan.

Zum Symbol des schwierigen Ablösungsprozesses wird seine Haut: In einer endlosen Reihe von schmerzhaften Operationen versucht Bryon die Tätowierungen loszuwerden, die seinen Körper entstellen. Sie stehen für den Teil seines Leben, den er für immer hinter sich lassen will.

Mit atmosphärisch dichten Winterbildern, die in ihrer kühlen Ästhetik an das Unterschichtsdrama „Winter’s Bone“ erinnern, fühlt sich der israelische Regisseur Guy Nattiv in triste prekäre Existenzen ein, deren Trost- und Perspektivlosigkeit den idealen Nährboden für rassistische Gewaltphantasien bildet. Daß es zwischen Menschenrechtsaktivisten wie Jenkins und verblendeten Brutalinskis wie dem Karger-Clan noch eine breite bürgerliche Mitte gibt, in der Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der nationalen Identität mit intellektueller Reife und ohne Rassenhaß verhandelt werden, ist ein Aspekt, für den in „Skin“ kein Platz bleibt. Trotzdem ist dieses buchstäblich unter die Haut gehende Filmdrama ein wertvoller Diskussionsbeitrag, und zwar nicht nur zu soziologischen Fragestellungen, auch zu ästhetischen. In „Skin“ lernen wir: Nicht nur Haß macht häßlich, auch Tätowierungen.

Kinostart ist am 3. Oktober