© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Er ließ sich nie in die Defensive drängen
Konservativer Leuchtturm: Eine anregende Biographie des CDU-Politikers Alfred Dregger
Bruno Bandulet

In einer Zeit, da eine ausgezehrte, merkelisierte CDU nach Orientierung sucht, liegt es nahe, sich an Al­fred Dregger zu erinnern – an den legendären Wahlkämpfer, den geschichtsbewußten Patrioten, den charismatischen Anführer des längst abgemagerten konservativen und nationalen Flügels der alten CDU.

Professor Dieter Weirich, langjähriger Mitarbeiter und Vertrauter Dreggers, Abgeordneter im Hessischen Landtag und im Deutschen Bundestag und späterer Intendant der Deutschen Welle, hat dazu eine gut geschriebene, anregende und nie langweilige Dregger-Biographie vorgelegt – sehr frühzeitig mit Blick auf den 10. Dezember 2020, an dem der 2002 verstorbene Politiker hundert Jahre alt geworden wäre. Und er nimmt den Leser mit auf einen Spaziergang durch die konfliktreiche Geschichte der hessischen und deutschen Innenpolitik seit den siebziger Jahren.

Kontroverse Diskussion um Dreggers geistiges Erbe 

Der aus Münster stammende Dregger, Bataillonskommandeur der Wehrmacht an der Ostfront und Volljurist nach einem Studium in den Nachkriegsjahren, amtierte von 1956 bis 1970 als erfolgreicher und beliebter Oberbürgermeister vom hessischen Fulda, trat 1967 an die Spitze einer verschlafenen hessischen CDU, transformierte die Partei im Verlauf von vier Landtagswahlen zu einer veritablen Kampfmaschine und übernahm 1982 den Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bis er 1991 von Wolfgang Schäuble verdrängt wurde.

Die Schilderung der hessischen Wahlkämpfe gerät bei Weirich zu einem Lehrbuch für Politiker, die gewinnen wollen. Schon 1970 plakatierte die hessische CDU großflächig einen Dregger, der an der Spitze einer in Keilform angetretenen Mannschaft der Entscheidung entgegenmarschierte. Die Anmutung war konfrontativ, assoziiert wurde „High Noon“, Dregger war Django. „Wer so daherkommt, schießt auch“, entrüstete sich die SPD. „Ich will das nicht dementieren“, konterte Dregger, dem es nie eingefallen wäre, sich in die Defensive drängen zu lassen. 

Daß Alfred Dregger den Stimmenanteil der CDU fast verdoppelte, auch beim vierten Anlauf 1982 die absolute Mehrheit nur knapp verfehlte und doch nie die Regierung in Wiesbaden übernehmen konnte, lag an der hessischen FDP, die sich von der SPD nicht lösen wollte und auch daran, daß die Wahlen in Hessen so oft von bundespolitischen Themen überlagert wurden. Der Durchbruch in Hessen aber war die Voraussetzung für Dreggers Kanzlerkandidatur. Mit ihm hätten die CDU und Deutschland einen anderen Kurs eingeschlagen. Stattdessen etablierte sich das System Kohl und später – als eigenartige Kopie – das System Merkel.

Nicht nur weltanschaulich hat die CDU seit den achtziger Jahren abgerüstet. Auch die Stilsicherheit ist verlorengegangen: Profil, Markentreue und die Klarheit der Botschaft wurden durch Beliebigkeit und Talkshow-Geschwätz ersetzt. Wenn sie wollte, könnte die Union immer noch von Dregger lernen, wie professionelle Wahlkämpfe aufgezogen werden müssen.

Volker Bouffier, der aktuelle CDU-Landeschef, und Alexander Gauland, der die frühere hessische CDU bestens kennt, haben einmal darüber gestritten, wer Dreggers Erbe für sich beanspruchen darf. Auch dazu läßt sich einiges aus Weirichs Biographie herauslesen. Zum einen wäre Dregger entsetzt über die innerparteilichen Intrigen und Grabenkämpfe der heutigen AfD. Er verpflichtete seine CDU auf Disziplin und Geschlossenheit und bekam diese auch. Er mied die Hinterzimmer. Er praktizierte Politik nie als „schmutziges Geschäft“. Er überzeugte durch Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit. Daß er ein schlechter Netzwerker war, lag in seiner Natur – und war zugleich seine Schwäche im Vergleich zu Helmut Kohl, dem Techniker der Macht, der es verstand, Getreue, Abhängige und „Domestiken“ (Weirich) um sich zu versammeln. 

Was die politischen Positionen anbelangt, waren Nato-Mitgliedschaft und europäische Zusammenarbeit für den Westfalen Kernbestand der deutschen Staatsräson – nicht aber, wie er einmal sagte, ein europäischer „kultureller Mischmasch, nicht Einheitsstaat, nicht einmal Bundesstaat“. Die Migrationspolitik Merkels hätte er entschieden bekämpft. Auf einer Tagung in Bonn am 21. Oktober 1982 sagte er, Einwanderung nach Deutschland setze voraus, „daß die Rückkehr der Ausländer in ihre Heimat nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist“. Er fügte hinzu: „Selbst für die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bedeutet Freizügigkeit nicht die Einräumung eines Dauerwohnrechtes für jeden. Es ist nicht unmoralisch, zu fordern, daß der uns verbliebene Rest Deutschlands in erster Linie den Deutschen vorbehalten bleibt.“

Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit

Am treffendsten läßt sich die Philosophie des überzeugten Marktwirtschaftlers als nationalliberal charakterisieren, woraus sich Unvereinbarkeiten und Schnittmengen einerseits mit der CDU, andererseits mit der AfD ergeben, zumindest mit Teilen beider Parteien.

Weirich hebt hervor, daß sich Dregger in der zweiten Hälfte seiner Legislaturperiode im Bundestag, die 1998 endete, „fast monothematisch“ auf die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit konzentrierte. Die Wanderausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ verdiene nur „Verachtung, besser Nichtbeachtung“, so Dregger. Und er wehrte sich zusammen mit Politikern wie Peter Gauweiler vehement gegen die Umdeutung der Niederlage 1945 zum „Tag der Befreiung“. Es gebe „wenig Anlaß zu feiern, viel aber zu trauern über die Bombennächte und die Vertreibung von mehr als zehn Millionen Deutschen“. 

In seinem Vorwort vermerkt Dieter Weirich, daß man im politischen Wettstreit plötzlich versuche, Dreggers geistiges Erbe für sich zu reklamieren. Und er fügt an, daß er sich an einer solchen Debatte nicht beteiligen wolle. Das tut er in seiner Biographie nicht explizit, er liefert aber genug Material für eben diese Diskussion.

Dieter Weirich: Alfred Dregger – Haltung und Herz – Eine  Biographie. Societäts-Verlag, Frankfurt 2019, gebunden, 336 Seiten, 20 Euro