© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/19 / 04. Oktober 2019

Ein starkes Berlin bleibt eine Hoffnung
Deutschland sollte Europa führen: Der Kölner Professor Thomas Jäger warnt vor einer neuen Weltordnung
Paul Leonhard

Daß sie nicht mehr in der Lage sind, eine militärisch entschiedene Lage politisch einzuordnen, haben die USA der Welt mit den falschen Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001 offenkundig gemacht. Auch der Irak-Krieg endete im politischen Desaster. Und als größte Wirtschaftsmacht führten die USA 2008 vor, daß sie zwar alle Länder in den Strudel einer Bankenkrise mitreißen können, aber es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, die Weltwirtschaftsordnung zu stabilisieren.

Der an der Universität Köln lehrende Thomas Jäger bescheinigt in seinem Essay „Das Ende des amerikanischen Zeitalters. Deutschland und die neue Weltordnung“ der einstigen Supermacht, zwar noch über das schlagkräftigste Militär zu verfügen, es aber nicht mehr effektiv einsetzen zu können. Überdies seien mit Rußland, Indien und China mächtige Handelsnationen entstanden. Die USA verlören zunehmend ihre Position als „zentrale, die internationale Ordnung allein prägende Macht“. Zusätzlich hätten die USA über gravierenden innenpolitischen Problemen ihre europäischen Verbündeten aus dem Blick verloren, was wiederum im uneinigen Europa kaum auffiel.

Paris sei politisch bereit, finanziell aber nicht

Europa werde 2060 wohl nur noch vier Prozent der Weltbevölkerung stellen, und sein Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt schwinde kontinuierlich, so Jäger. Auch habe die Euro-Einführung weder die europäische Integration vertieft, noch den europäischen Außenhandel vom Dollar unabhängiger gemacht. Um die Handlungsfähigkeit der EU herzustellen, müsse ein Land – in Frage kämen nur Frankreich oder Deutschland – die Führungsrolle übernehmen, so Jäger. Das Problem: Paris sei dazu bereit, aber finanziell nicht in der Lage, während sich die Politiker im wirtschaftlich starken Deutschland scheuten, die Rolle anzunehmen.

Daß Europa außenpolitisch als Papiertiger agiert, weist Jäger am Beispiel der Ukraine nach. Der Versuch der EU, ihren Einfluß nach Osten auszuweiten, mündete letztlich in einen Krieg zwischen Rußland und der Ukraine.

Während die EU auf die USA angewiesen sind, fahren diese gegenüber Europa eine Doppelstrategie. Sie müssen einerseits verhindern, daß die EU zum weltpolitischen Akteur und damit zur Konkurrenz wird, und andererseits, daß einzelne Länder ausscheren und sich nach Osten orientieren. 

Den Chinesen bescheinigt Jäger, den Wirtschaftsnationalismus – wie ihn Trump gern hätte – mittels bilateraler Abkommen „in der geschickt verpackten Hoffnungswolke einer angeblich offenen Weltwirtschaft“ umzusetzen. China biete ein Gesellschaftsmodell mit autoritärer Regierung, totalitärer Überwachung und erfolgreicher Wirtschaft, was für viele Menschen keine geringe Anziehungskraft habe.

Berlin ermuntert Jäger, die europäische Führungsrolle anzunehmen, da die USA ihre international nicht allein ausgestalten könnten. Wolle die Politik nicht, daß die autoritären Großmächte China und Rußland die internationalen Regeln und Normen bestimmen, müßten sich die EU und die USA zusammenraufen und die liberale Neuordnung neu begründen. Noch bestehe die Hoffnung, daß der Westen mit seiner demokratischen offenen Lebenswelt sich behaupten kann.

Thomas Jäger: Das Ende des amerikanischen Zeitalters. Deutschland und die neue Weltordnung, Orell Füssli Verlag, kartoniert, 191 Seiten, 12 Euro