© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Hassen lassen
Hetze im Internet: Das „NetzDG“ bringt wenig, nun plant die Politik neue Eingriffe
Peter Möller

Die zahlreichen Kritiker des vom damaligen Justizminister Heiko Maas (SPD) 2017 auf den Weg gebrachten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) können sich bestätigt fühlen: Keine zwei Jahre nach Inkrafttreten steht das hart umkämpfte Regelwerk, das seinen Gegnern und Befürwortern wahlweise als die Meinungsfreiheit bedrohendes Zensurgesetz oder als letzte Möglichkeit zur Rettung der Demokratie vor Hate Speech erscheint, im politischen Berlin erneut auf der Tagesordnung.

Der Grund: Anders als von seinen Initiatoren versprochen, hat das NetzDG nicht dazu beigetragen, Beleidigungen, Haßkommentare oder andere verbale Rüpeleien aus dem deutschsprachigen Internet zu verbannen. Experten hatten indes bereits während der Diskussion über das Gesetz vor falschen Erwartungen gewarnt. Denn selbst wenn Internetdienste wie Facebook oder Twitter einen Post löschen, der Beleidigungen enthält, gibt es keine Garantie dafür, daß diese nicht umgehend an anderer Stelle in identischer Form wieder auftauchen. Außerdem erfolgt die Löschung in der Regel nur im Geltungsbereich des NetzDG und nicht weltweit.

Geht es nach Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sollen die Schrauben des Gesetzes daher nun weiter angezogen und der Verfolgungsdruck erhöht werden. Den Plänen aus dem Justizministerium zufolge sollen Social-Media-Konzerne Posts mit Morddrohungen oder Volksverhetzungen künftig direkt den Ermittlungsbehörden melden müssen. Bislang sind die Anbieter nur dazu verpflichtet, die Beiträge zu löschen. Für die Strafverfolgung der Urheber sind Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig – allerdings ermitteln sie nur, wenn eine Anzeige erstattet wurde.

Lambrecht will das nun ändern: „Es kann nicht sein, daß auf diesen Plattformen wild beleidigt, beschimpft, gepöbelt und bedroht wird. Da wollen wir schon, daß die Betreiber Verantwortung übernehmen und neben dem Sperren oder Löschen auch ermöglichen, daß Strafverfolgung erfolgen kann“, sagte sie dem ZDF. Sollte sich die SPD-Politikerin mit ihren Plänen durchsetzen, käme auf die Strafverfolgungsbehörden erhebliche Mehrarbeit zu.  Allein Youtube hatte nach Angaben der Süddeutschen Zeitung im ersten Halbjahr 2019 mit mehr als 300.000 gemeldeten Inhalten zu tun, die unter das NetzDG fallen. Zu den rund 20 dort aufgeführten Straftaten zählten demnach kinderpornographisches Material, Kommentare mit Hakenkreuzen, Holocaustleugnung, Gewaltaufrufe, Beleidigungen. Selbst wenn nicht alle NetzDG-Delikte an die Ermittler weitergeleitet werden müßten, wäre der Aufwand enorm: Allein die Posts, die von sozialen Netzwerken wegen Morddrohungen und Volksverhetzungen gesperrt werden, gehen nach Angaben von Experten in die Zehntausende.

Beleidigungen im Netz  auch ohne Anzeige verfolgen

Indirekte Unterstützung für ihre Pläne bekommt die Justizministerin aus dem schwarz-grün regierten Hessen. Dort stellte die Landesregierung im September vor dem Hintergrund des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) das Aktionsprogramm „Hessen gegen Hetze“ vor, das „dem Rechtsextremismus, der Gewalt und dem Haß im Internet“ entgegentreten soll. Geplant ist hierfür unter anderem, ein Meldesystem aufzubauen, mit dem es den Bürgern ermöglicht werden soll, Beleidigungen oder Beschimpfungen im Internet online zu melden. Dabei will die Landesregierung auch auf die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen. „Es geht uns einfach sehr viel verloren, wenn wir auf die Hilfe von Privaten verzichten“, sagte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Durch die Mitarbeit der Zivilgesellschaft wolle man gerade vermeiden, eine staatliche Überwachungsstruktur aufzubauen. Gleichzeitig sei es angesichts von großen Datenmengen und der Schnelligkeit des Internets geboten, neue Wege zu gehen.

Dennoch plant Hessen auch, die Zahl der staatlichen Ermittler für diese Delikte aufzustocken. Die 2010 gegründete hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), die mit einem Oberstaatsanwalt und acht Staatsanwälten derzeit vor allem Fälle von Kinderpornographie und Cyberkriminalität bekämpft, soll künftig auch „bedeutende Ermittlungsverfahren“ wegen Haßkriminalität im Internet verfolgen.

Verbunden sind die hessischen Pläne mit der Forderung an die Bundespolitik, den Straftatbestand der Beleidigung im Internet als ein Offizialdelikt zu verankern, damit Straftaten nicht nur dann verfolgt werden, wenn das Opfer das ausdrücklich wünscht. „Das Netz ist schnell. Dann müssen wir das auch sein“, sagte der stellvertretende hessische Ministerpräsident Tarek Al-Wazir (Bündnis 90/Die Grünen) zur Begründung.

Flankiert wird die neu aufgebrochene Diskussion über Hate Speech und das NetzDG von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Die Luxemburger Richter urteilten in der vergangenen Woche, daß Internetunternehmen wie Facebook oder Google von nationalen Gerichten verpflichtet werden können, wortidentische und sogar sinngleiche Inhalte aktiv zu suchen und zu löschen. Hintergrund sind Beleidigungen gegen die frühere österreichische Grünen-Vorsitzende Eva Glawischnig, die auf Facebook unter anderem als „miese Volksverräterin“ und „korrupter Trampel“ beschimpft worden war. Nach Ansicht des EuGH kann ohne das Verbot auch sinngleicher Äußerungen ein Urteil leicht umgangen werden, indem der Verursacher seine Ursprungsbeleidigung einfach umformuliert. Dies würde dazu führen, daß die betroffene Person eine Vielzahl von Verfahren anstrengen muß, um letztendlich zum Erfolg zu kommen.