© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Aufs Thresentliche konzentrieren
Paul Rosen

In Bonn war nicht alles besser, aber vieles lustiger. Wenn es dunkel wurde am Rhein und im Bundestag eine der auch damals nicht unüblichen Nachtsitzungen anstand, konnte man sicher sein, daß zwar nicht viele Abgeordnete im Plenum, aber um so mehr im Keller des „Plenarsaals Wasserwerk“ anzutreffen waren, wo sich die verschwiegene und für die Öffentlichkeit unzugängliche Bundestagskneipe befand – nach dem Spitznamen des Barkeepers auch als „Ossis Bar“ bekannt. Er hatte nichts mit Ostdeutschland zu tun, sondern war ladinischer Herkunft.

Wenn die Abende lang wurden und das Verlangen nach einem guten Schluck größer, ließ sich eine amtierende Vizepräsidentin gerne ein gutes Schlückchen bei Ossi mixen. Der wußte, daß dem Orangensaft eine gewisse Menge Sekt beizugeben war. Manche Abgeordnete vergaßen bei Bier und Korn an der Theke, daß sie noch einen Auftritt im Plenum vor sich hatten, was Artikulationsstörungen zur Folge haben konnte. Legendär wurde in diesem Zusammenhang eine Rede des inzwischen verstorbenen FDP-Rechtsexperten Detlef Kleinert, von dem es allerdings hieß, daß er auch nach einem längeren Aufenthalt bei Ossi rhetorisch und intellektuell noch besser gewesen sei als das Gros des Hohen Hauses. Sollte es zu spät geworden sein, bestand fraktionsübergreifende Einigkeit, die Reden zu Protokoll zu geben und die Sitzung zu schließen. Nur die Bar blieb offen.

Das alles ist in Berlin Geschichte. Es gibt statt vier oder fünf nunmehr sechs Fraktionen im Bundestag, und der Umgangston ist ruppig geworden. Die AfD wird in den parlamentarischen Prozeß nicht eingebunden; ein Sitz im Bundestagspräsidium wird ihr verweigert. Die neue Fraktion revanchiert sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Oft genug wurden Anträge auf Feststellung der Beschlußfähigkeit zu später Stunde oder am Freitagnachmittag gestellt, was die anderen Fraktionen zwingt, für mehr Präsenz zu sorgen. Auch geben AfD-Abgeordnete ihre Reden nicht zu Protokoll, sondern reden zu jedem Punkt, so daß die Sitzungen manchmal tatsächlich bis 1.30 Uhr dauern.

„Es kann kein Dauerzustand sein, daß Politiker bis in den frühen Morgen tagen“, stellt CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer fest. Und CSU-Kollege Stefan Müller meint, es gebe „einen erkennbaren Bedarf nach einer Straffung des Ablaufs“. Der Union schwebt vor, die Debattenzeit weiter zu verkürzen, was sinnvoll wäre, denn zur Zeit ist es oft so, wie vom bayerischen Spötter Karl Valentin aus anderem Anlaß beschrieben: Es ist alles gesagt, aber noch nicht von allen. Mehr Sitzungswochen als die etwa 22 pro Jahr will die Union nicht; schließlich sind Abgeordnete auch gerne daheim.

Der Terminplan in Sitzungswochen ist eng: Montag Anreise und Landesgruppen, Dienstag Arbeitskreise und Fraktionssitzungen, Mittwoch Ausschüsse und Plenarsitzung, Donnerstag und Freitag Plenarsitzungen. Eine Lösung zu finden, dürfte nicht einfach werden. Vor allem dann nicht, wenn die Mehrheit die AfD-Fraktion wie üblich ignorieren und nicht in eine Neuregelung einbinden sollte.