© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Der Blick aufs Wirkliche
JF-Faktencheck: Wie viele Asylbewerber kamen seit 2015 nach Deutschland? Wie viele gelten als Flüchtlinge? Welche Kosten sind entstanden?
Björn Harms

Obwohl sich der ständige Zustrom an Asylbewerbern seit der Schließung der Balkanroute im März 2016 merklich verringert hat, ist die Einwanderung nach Deutschland auf einem konstant hohen Niveau. Noch immer verzeichnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) monatlich rund 12.000 neue Asylanträge. Noch immer wird an den deutschen Außengrenzen jeder eingelassen – auch ohne Ausweispapiere –, der angibt, in Deutschland Asyl beantragen zu wollen. 

„Im Jahr 2019 haben wir bis einschließlich August insgesamt 26.490 unerlaubte Einreisen deutschlandweit festgestellt“, erklärte erst vergangene Woche ein Sprecher des Bundesministeriums des Innern. Die Dunkelziffer dürfte ungleich höher liegen. Gleichzeitig warnt auch Horst Seehofer angesichts steigender Migrationszahlen auf den griechischen Inseln (siehe Seite 7):

„Wir müssen unseren europäischen Partnern bei den Kontrollen an den EU-Außengrenzen mehr helfen. Wir haben sie zu lange alleine gelassen. Wenn wir das nicht machen, werden wir eine Flüchtlingswelle wie 2015 erleben – vielleicht sogar noch eine größere als vor vier Jahren.“

Asylberechtigt ist nur ein Bruchteil der Antragsteller 

Wie aber haben sich die konkreten Asylzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt? Was kostete das Ganze den deutschen Steuerzahler? Und wie viele abgelehnte Asylbewerber wurden abgeschoben? Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen: Von 2015 bis September dieses Jahres wurden in Deutschland 1.758.647 Asylanträge gestellt. Rund ein Drittel aller in diesem Zeitraum bearbeiteten Asylanträge wurde seitdem abgelehnt – eine stattliche Zahl von 616.541 Fällen (31,7 Prozent). Einige reisten deshalb freiwillig aus (mit Hilfe des Bundesinnenministeriums seit 2015 rund 130.000 Personen), einige wurden abgeschoben (seit 2015 rund 105.000 Personen), ein großer Teil aber blieb und verabschiedete sich in die Illegalität. 

Die Zahl der anerkannten Flüchtlinge liegt für diesen Zeitraum bei 593.651 (30,5 Prozent). Vollumfänglich asylberechtigt ist jedoch nur ein Bruchteil dieser Flüchtlinge (0,7 Prozent). Weitere Personen genießen subsidiären Schutz oder sind vor einer Abschiebung geschützt (19,2 Prozent). In rund 18,6 Prozent aller Prüfungen berief sich das Bamf auf eine „formelle Entscheidung“. Das bedeutet, die Bundesrepublik ist für das Asylverfahren nicht zuständig, zumeist weil der Einwanderer über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist ist. Denn eigentlich ist nach der Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union der Ersteinreisestaat zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet. 

Doch nach der Feststellung, daß Deutschland für das Verfahren nicht verantwortlich ist, können die Personen nicht einfach abgeschoben werden. Zunächst wird ein Übernahmeersuchen an den betreffenden Staat gerichtet, dem dieser dann zustimmen muß. Von Januar bis August dieses Jahres wurden 33.683 solcher Ersuchen an die Mitgliedsländer der Dublin-III-Verordnung gestellt. In 21.170 Fällen wurde dem Ersuchen stattgegeben. Tatsächlich aber kam es lediglich zu 5.747 Überführungen in andere Staaten – eine Quote von 27 Prozent.

Was aber ist die Dublin-III-Verordnung generell noch wert? Deutschland hat in den vergangenen Jahren Hunderttausende Asylbewerber aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan aufgenommen, die ganz woanders erstmals EU-Boden betreten hatten, beispielsweise in Griechenland. Das führt zwangsläufig zur Frage, nach welchem Recht die Einwanderung geschehen ist. 

Im Januar 2016 hatte der damalige Justizminister Heiko Maas in der FAZ erklärt, die Bundesrepublik habe das sogenannte Selbsteintrittsrecht gemäß Artikel 17 der Dublin-III-Verordnung angewendet. Deutschland kann also Asylverfahren prüfen, auch wenn es eigentlich gar nicht zuständig wäre. Zunächst schränkte er die Geltung auf die kurze Zeit bis November 2015 ein, im März 2016 sprach er schließlich von einer unbefristeten Dauer. Allerdings gilt das Selbsteintrittsrecht nur „im Einzelfall“, wie es im entsprechenden Gesetzestext heißt, und nur dann, wenn  die  Identität  sowie  die  Lebens- und Fluchtgeschichte eines Asylbewerbers zweifelsfrei geklärt ist.

Eine weitere Rechtsauffassung der Bundesregierung geht aus ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei vom 20. Januar 2016 hervor. Darin beruft sie sich auf Paragraph 18, Absatz 4(2) des Asylgesetzes, wonach die Einreise nicht verweigert werden darf, wenn „das Bundesministerium des Innern es aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland angeordnet hat“. Das Problem: Eine solche Anordnung ist schriftlich nie erfolgt. 

Der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau ist sich deshalb sicher, „daß es natürlich niemals eine rechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik zur massenhaften Aufnahme unbekannter junger Männer aus sicheren Drittstaaten gegeben hat, wie man es zuvor der politischen Öffentlichkeit ein halbes Jahr lang hatte suggerieren wollen, sondern daß die ganze Aktion eine rein politische Entscheidung der Bundeskanzlerin gewesen war“.

Doch egal ob sie nun „schuld am Zustrum der Flüchtlinge ist“ oder nicht, wie Merkel im Dezember 2015 erklärte, „nun sind sie halt da“. Und sorgen für eine extreme Belastung der Sozialsysteme. Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Sprachunterricht – wer nach Deutschland kommt, hat einen gesetzlichen Anspruch auf Leistungen. Klar geregelt ist das Taschengeld, das ein Asylbewerber im Monat bekommt: Als Erwachsener, der noch in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt, sind es 135 Euro. Dazu kommen 219 Euro pro Monat für Ernährung und Kleidung. Eine Studie der Universität Leipzig bezifferte im vergangenen Jahr die durchschnittlichen Kosten pro Flüchtling auf rund 16.000 Euro jährlich in den großen Städten und bis zu 11.000 Euro in kleineren Orten.

Wird der Asylantrag angenommen und findet die betreffende Person keine Arbeit, erhält sie Sozialleistungen wie ein Hartz-IV-Empfänger: 424 Euro. Die Hartz-IV-Quote für Staatsangehörige aus den Asylherkunftsländern liegt derzeit bei 60,9 Prozent (Stand: Juni 2019). Zum Vergleich: Bei Deutschen liegt die Quote bei 6,2 Prozent, für alle Ausländer bei 19,9 Prozent. Besonders hoch sind die Zahlen bei Syrern. Drei Viertel von ihnen sind Hartz-IV-Empfänger. 

Insgesamt sind derzeit knapp unter einer Million Personen aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien in dieser Statistik vertreten. Die Veränderung gegenüber dem Vorjahr ist minimal (-0,3 Prozent). Sie machen damit rund 18 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger aus. 

Das sei doch bloß so, weil die Personen nicht arbeiten dürften, wird häufig eingewendet. Fakt ist: In den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland dürfen Asylbewerber nicht arbeiten. Ab dem vierten Monat aber können sie in den meisten Teilen Deutschlands ohne Vorabprüfung der Ausländerbehörde eine Arbeit aufnehmen, ab dem 16. Monat ist der Arbeitsmarkt in ganz Deutschland offen. Asylberechtigte, Flüchtlinge und Geduldete haben ohnehin einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Und die Anerkennungsquote von Asylbewerbern aus Syrien ist hoch: Sie betrug im vergangenen Jahr rund 82 Prozent.   

Das Problem scheint vielmehr, daß die nötige Qualifikation nicht vorhanden ist. Nach Angaben des Bamf fängt mehr als jeder fünfte Teilnehmer eines Integrationskurses ohne Lese- und Schreibkenntnisse an. Nur knapp die Hälfte der Teilnehmer erreichen das erforderliche Sprachniveau B1, das als Voraussetzung für den Arbeitsmarkt gilt und erklärtes Ziel der Integrationskurse ist.

Flüchtlingsrücklage wächst auf 35 Milliarden Euro an

Diese Einwanderung ins Sozialsystem und die entsprechenden Kosten in Milliardenhöhe sind mit weiteren Belastungen verknüpft. Betrachten wir zunächst den Bundeshaushalt: Seit 2016 listet der Bundesrechnungshof die „asylbedingten Leistungen“ des Bundes auf. Zunächst waren dies 20,5 Milliarden Euro (2016), dann 20,8 Milliarden Euro (2017), im vergangenen Jahr 23 Milliarden Euro. Für das gesamte Jahr 2019 sind 22,9 Milliarden eingeplant. Das macht in der Summe 87,2 Milliarden Euro für vier Jahre. Auch für den Haushaltsentwurf 2020 sind 20,8 Milliarden Euro vorgesehen. Gleichzeitig fließen seit Jahren alle Überschüsse des Bundeshaushalts in eine 2015 geschaffene Flüchtlingsrücklage, die mittlerweile auf 35 Milliarden Euro angewachsen ist. Angerührt wurde das Geld bislang nicht. Was damit geschieht, gerade im Falle einer drohenden Rezession, bleibt unklar. 

Die Ausgaben der Länder sowie der Kommunen und Gemeinden sind deutlich schwerer zu überblicken. Einen kleinen Ausschnitt bieten die Zahlungen an die Einwanderer gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Kosten hierfür lagen 2016 für alle 16 Bundesländer bei 9,4 Milliarden Euro, ein Jahr später bei 5,9 Milliarden Euro, 2018 bei 4,8 Milliarden Euro. Schätzungen wie die der Universität Leipzig gehen von 1.200 bis 1.500 Euro monatlich aus, die die Kommunen für jeden Asylbewerber aufwenden. 

670 Euro davon übernimmt weiterhin der Bund, das wurde zuletzt im Juni bestätigt. Ein Teil der Belastungen fällt also in den Bundeshaushalt. Für den Rest müssen die Gemeinden selbst sorgen. „Niemandem wird etwas weggenommen, weil Flüchtlingen geholfen wird“, sagte der damalige Fraktionschef der Union, Volker Kauder, Anfang 2016. Die Zahlen beweisen: Die Realität sieht anders aus.