© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Punkten mit sozialer Wirtschaftskraft
Polen: Kurz vor der Parlamentswahl deuten die Zeichen auf eine Wiederwahl der Nationalkonservativen
Mathias Baumann

Wahlkampf in Warschau – auf den Straßen der polnischen Hauptstadt ist davon nicht viel zu merken, abgesehen von den Plakaten der verschiedenen Parteien. Lediglich ein junger, adrett gekleideter Kandidat der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), der polnischen Regierungspartei, verteilt in der Nähe des Nationalmuseums in der Innenstadt Flyer mit Infos über seine Person und seine politischen Ziele. Nur wenige Passanten nehmen ihm einen Flyer ab. 

Warschau ist eine Hochburg der liberalen Opposition. Weit stärker als in der Hauptstadt ist die PiS in den ländlichen Gebieten des Ostens und Südostens Polens. Schon bei der Europawahl im Mai konnte die nationalkonservative PiS ein überraschend gutes Ergebnis erzielen. Nach den aktuellen Umfragen vor dem Urnengang am 13. Oktober könnte sie ihr Europawahlergebnis von landesweit 45 Prozent sogar noch leicht verbessern. 

Erhöhung von Sozialleistungen

Die Opposition liegt in den Umfragen deutlich zurück. So kommt die liberale Bürger-Koalition (KO) auf knapp unter 30 Prozent. Die KO ist ein Wahlbündnis aus der liberalen und europafreundlichen „Bürgerplattform“, der wirtschaftsliberalen „Moderne“ und den polnischen Grünen. Die KO fordert eine Bewahrung der Sozialleistungen, mehr Umweltschutz und mehr Geld für Geringverdiener.

Gute Chancen, ins Parlament einzuziehen, hat auch die Linke, die in Umfragen etwas über zehn Prozent liegt. Sie ist ein Bündnis der Sozialdemokraten mit der Partei des Politikers Robert Biedron, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt. 

Eng dürfte es für die rechts von der PiS stehende Bewegung „Kukiz 15“ des Rockmusikers Pawel Kukiz werden, die noch im Parlament sitzt. Sie tritt zusammen mit der Bauernpartei an, doch das Wahlbündnis liegt in Umfragen nur um die fünf Prozent. Für Parteien gilt in Polen eine Fünf-Prozent-Sperrklausel, für Wahlbündnisse eine Acht-Prozent- Grenze.

Eine erneute absolute Mehrheit im Parlament erscheint also realistisch. In ihrem Wahlprogramm kommt die PiS ihrer Anhängerschaft in den Dörfern und Kleinstädten entgegen, zum Beispiel durch das Versprechen, regionale und lokale Buslinien auf dem Land stark auszubauen. 

Die Zahlung einer zusätzlichen, 13. Monatsrente im Wahljahr 2019 zielt auf die Rentner, unter denen die PiS viele Wähler hat. Vor kurzem hat die PiS-Führung sogar die Zahlung einer zusätzlichen 14. Monatsrente für kleinere Renten ab 2021 angekündigt. Jungen Menschen kommt die PiS mit dem Vorhaben entgegen, daß die Mehrheit der Arbeitnehmer unter 26 keine Einkommenssteuer mehr zahlen muß. Parallel dazu will die Regierungspartei  einen Mindestlohn einführen. Er soll für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft und einen großen Teil des öffentlichen Dienstes gelten.  

Vorgesehen ist, daß der allgemeine Mindestlohn bis 2023 auf 4.000 Zloty steigen soll, das sind umgerechnet gut 900 Euro. Dies ist ein hoher Wert angesichts der Tatsache, daß bisher über ein Drittel der Polen mit ihrem Verdienst unter dieser Grenze liegt.

Die PiS profitiert von einer guten Wirtschaftslage im Land. Polen erzielte 2018 das zweithöchste Wirtschaftswachstum in der EU. Allerdings ist nicht garantiert, daß dies so bleibt. Die wichtigsten Außenhandelspartner sind Deutschland und Großbritannien. Deutschland steht am Rand einer Rezession, und der bevorstehende Brexit hat bereits negative Auswirkungen auf die polnische Exportwirtschaft. Zugleich profitieren bei weitem nicht alle Regionen des Landes vom Wirtschaftsaufschwung. Vor allem die östlichen Landesteile sind wirtschaftlich weniger entwickelt. Polen ist der größte Netto-Empfänger unter den 28 EU-Staaten.

Die PiS ist nach westeuropäischem Mainstreamverständnis eine rechtspopulistische Partei. Die PiS hat aber eine stärker soziale Agenda als die meisten anderen Parteien in Europa. Aus diesem Grunde hat sie eine besonders starke Anhängerschaft unter den Geringverdienern und Rentnern im Land. Allerdings wählen auch viele junge Polen die PiS. So erreichte die PiS bei den Europawahlen im Mai knapp 30 Prozent in der Wählergruppe bis 29 Jahre.  

Kritische Blicke in Richtung Berlin

Im Wahlkampf macht die polnische Regierungspartei vor allem Front gegen die Gleichstellung von Schwulen und Lesben, wie sie von westlichen Ländern gefordert wird. Viele Polen lehnen zu weitgehende Rechte für Homosexuelle entschieden ab. 

Anders als die Einstellung gegenüber Homosexuellen ist die Programmatik der PiS gegenüber der EU nur teilweise mehrheitsfähig. Polen profitiert sehr stark von den Zahlungen der EU. Ein EU-Austritt, wie ihn der radikale Flügel der PiS fordert, würde Polen dieser umfangreichen Finanzhilfen berauben. So genießt die EU bei der Mehrheit der Polen weiterhin grundsätzliche Zustimmung, auch wenn Teilbereiche wie eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik abgelehnt werden. 

Die Führung der PiS hat mittlerweile von der Idee eines EU-Austrittes Abstand genommen. Die Einführung des Euro wird jedoch weiterhin abgelehnt. So sagte PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski: „Wir sagen ‘Nein’ zum Euro, ‘Nein’ zu europäischen Preisen.“

Kritisch wird in Polen die starke Rolle gesehen, die Deutschland in der EU spielt. So mischt sich die Kritik der Regierung an der EU oft mit Kritik an der deutschen Bundesregierung. Dies liegt zum Teil an den historisch nicht einfachen deutsch-polnischen Beziehungen. Mindestens genauso stark ist aber die Verärgerung über die Politik der Regierung Merkel. Besonders die Kritik aus Berlin an den rechtsstaatlichen Entwicklungen in Polen stieß bei polnischen Regierungsvertretern auf Unverständnis. 

Genauso entschieden ist die Ablehnung eines europäischen Flüchtlingspaktes, der immer wieder von Bundeskanzlerin Merkel propagiert wird. Polnische Politiker weisen gerne darauf hin, daß die Entscheidung zur unkontrollierten Aufnahme von Hunderttausenden von muslimischen Flüchtlingen von Angela Merkel ohne Rücksprache mit der polnischen und anderen europäischen Regierungen getroffen wurde. 

In der polnischen Öffentlichkeit gibt es wenig Bereitschaft zur Aufnahme von Zuwanderern. Dies gilt vor allem für muslimische Flüchtlinge. „Wir gehören dem Club von Freunden der Verteilung von Flüchtlingen nicht an“, betonte 2018 der polnische Premier Mateusz Morawiecki. In der Flüchtlingspolitik verfolgt Warschau eine gemeinsame Position mit der Slowakei, Tschechien und Ungarn, mit denen es in der sogenannten „Visegrad-Gruppe“ zusammenarbeitet. Sie versteht sich als Gegenpol zu einer deutsch-französisch dominierten EU.