© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/19 / 11. Oktober 2019

Grüße aus Seattle
„Wollt ihr etwa so sein?“
Jörg Sobolewski

Obwohl das Jahr 2020 auch in der neuen Welt noch einige Monate entfernt liegt, laufen sich in den USA die beiden großen Parteien mehr und mehr für den Wahlkampf warm. Impeachment hin. Impeachment her. Gerade im Bundesstaat Washington tritt die in den vergangenen Jahren deutlich gewordene gesellschaftliche Polarisierung besonders stark zutage. 

Wo im Hinterland die „Trump/Pence“ Fahnen wehen, dominiert an der Küste die liberale Großstadt Seattle – im ganzen Land bekannt für ihre Schwulenszene, ihre starke sozialistische Szene und großzügige Sozialgesetzgebung. Gehaßt von den einen – geliebt von den anderen. 

Diese Polarisierung treibt mitunter seltsame Blüten. Auf der Fahrt zur Autovermietung fällt der Blick auf einen gigantischen „Dodge Ram“. Das Standardmodell des besonders patriotischen Amerikaners in Feuerrot bahnt sich seinen Weg durch die Fahrradstadt Seattle. 

In breitestem Texanisch und mit einigen deut-lichen Gesten erklärt er seiner Familie die Welt.

Zwischen all den Teslas, New Beetles und Car-Sharing-Mercedes fällt die Benzin- und Testosteronschleuder auf wie ein bunter Hund. Sein Kennzeichen verrät, man hat es mit einem echten Exoten zu tun. Unter dem Wahlspruch: „In God we trust“ steht in breiten Lettern klar erkennbar der Name des siebten Höllenkreises für amerikanische Westküstenliberale: „Texas“. 

Wir bilden schließlich eine Zeitlang eine unbeabsichtigte Stehgemeinschaft, als ein Demonstrationszug für bezahlbare Mieten eine der Hauptdurchgangsstraßen blockiert. Gemeinschaftlich zum Stehen genötigt, stehen wir vor der Absperrung und warten auf das Ende des bunten Haufens aus Genderisten, engagierten Liberaldemokraten und roten Socken.

Im warmen Seattle haben beide Autos die Fenster herabgelassen, und so schnappe ich ein paar Worte des Fahrers auf. In breitestem Texanisch und mit einigen deutlichen Gesten erklärt er seiner Familie die exotische Welt, in der sie sich wiederfinden mit einer einfachen Erklärung:

„See kids? This is why we don’t let democrats decide anything. ‘Cause they’ll just turn the entire country into something like this! They’d take away my guns and my truck and force me to drive you to school in one of those toycars. You’d want that, kids?” 

Heftiges Kopfschütteln auf den Rücksitzen ist Antwort genug, und zufrieden setzt der Kurzzeitnachbar sein Gefährt wieder in Bewegung. Ich bleibe amüsiert zurück und sehe dem abbiegenden Wagen kurz hinterher. Wie ein Ufo verschwindet er hinter einer Straßenkreuzzung.